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Welfenschatz-Coup der Nazis: Deutschland wird vor US-Gericht verklagt

Washington, D.C. (ots) - Amerikanische und britische Nachfahren von deutsch-jüdischen Kunsthändlern haben die Bundesrepublik Deutschland vor einem amerikanischen Bundesgericht in Washington DC auf Herausgabe des "Welfenschatzes" verklagt. Die Sammlung mittelalterlicher Kunstwerke wird auf einen Wert von mindestens 220 Millionen Euro geschätzt und befindet sich heute im Besitz der bundes- und ländereigenen Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK).

Geschrieben von Redaktion am . Veröffentlicht in Welt.
Foto: Wikipedia CC

Washington, D.C. (ots) - Amerikanische und britische Nachfahren von deutsch-jüdischen Kunsthändlern haben die Bundesrepublik Deutschland vor einem amerikanischen Bundesgericht in Washington DC auf Herausgabe des "Welfenschatzes" verklagt. Die Sammlung mittelalterlicher Kunstwerke wird auf einen Wert von mindestens 220 Millionen Euro geschätzt und befindet sich heute im Besitz der bundes- und ländereigenen Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK).

Es ist das erste Mal, dass Deutschland vor einem US-Gericht von Nachkommen von NS-Opfern in Anspruch genommen wird, um Eigentumsansprüche durchzusetzen. Die Kläger machen geltend, dass ihren Vorfahren die wertvolle Sammlung in einem "staatlich organisierten Betrugsmanöver" und unter dem Druck von Verfolgung, Diskriminierung und öffentlicher Anfeindung in Deutschland 1935 abgepresst wurde.

Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz weigert sich seit Jahren, die von den Nachfahren der Händler vorgebrachten Ansprüche anzuerkennen. Zuletzt hatte sie dabei auch die "Limbach-Kommission" auf ihre Seite ziehen können, deren Empfehlung allerdings keine bindende Wirkung hat. Nach Ansicht der Kläger wird an der Empfehlung der Kommission und der Argumentation und Haltung der Stiftung eine fragwürdige und erschreckende Tendenz deutlich, fundamentale und bewährte Prinzipien des internationalen Rechts zu ignorieren, wonach sämtliche Zwangsverkäufe in Nazi-Deutschland ab 1933 per definitionem als nichtig angesehen werden.

"Deutschland erweckt den Anschein, als hätte es Regeln für den Umgang mit Nazi-Raubkunst aufgestellt, aber die Realität sieht leider anders aus", so Nicholas M. O'Donnell von der amerikanischen Kanzlei Sullivan & Worcester LLP, der als Anwalt der Nachfahren die Klage eingereicht hat. "Die Weigerung der deutschen Regierung, die Verluste der Opfer anzuerkennen, die zwar ihr Leben, aber nicht ihren Lebensunterhalt und Besitz retten konnten, steht in krassem Gegensatz zu Deutschlands historischer Verpflichtung."

Die Rechtsgrundlage für die Klage bildet der sogenannte "Foreign Sovereign Immunities Act (FSIA)", der unter bestimmten Umständen die Klage gegen ausländische Staaten und Einrichtungen ermöglicht, die auf dem Gebiet der USA geschäftlich tätig sind. Zu den möglichen Klagegründen zählt die Verletzung internationalen Rechts, insbesondere auch die rechtswidrige Aneignung von Eigentum bei Verfolgung. Die Klage bezieht sich ausdrücklich auch auf die "Washingtoner Erklärung" von 1998, die erstmals internationale Standards zum Umgang mit Raubkunst aufgestellt hat und 1999 von Deutschland anerkannt wurde.

Die Klageschrift enthält eine detaillierte Schilderung der zeitgeschichtlichen Hintergründe und zeigt insbesondere auf, wie sich der Preußische Staat unter Führung seines Ministerpräsidenten Hermann Göring mittels Manipulation und Nötigung der Eigentümer, die aus Deutschland flüchten mussten, in den Besitz der Sammlung brachte. Der Wert der Sammlung, die im Berliner Kunstgewerbemuseum ausgestellt ist, wird auf mindestens 220 Millionen Euro geschätzt.

Hintergrund

Der Welfenschatz besteht aus Dutzenden vergoldeten und juwelengeschmückten Reliquienkunstwerken des 11. bis 15. Jahrhunderts, die das Haus Braunschweig-Lüneburg im Laufe der Jahrhunderte zusammengetragen hatte. 1929 veräußerte der Herzog von Braunschweig die Sammlung an die Großväter und Onkel der Kläger, ein Konsortium der Kunsthändler J.& S. Goldschmidt, I. Rosenbaum, und Z.M. Hackenbroch.

In den 1930er Jahren wurden sie als Juden, die es nach Ansicht der Nationalsozialisten gewagt hatten, nationales Kulturgut - ein nationales Kulturdenkmal - an sich zu reißen und zu verschachern, massiv unter Druck gesetzt, den Kernbestand der Sammlung an Preußen zu verkaufen.

Preußen und Göring nutzten die wirtschaftliche Not der Eigentümer aus, um sich die Sammlung schließlich für weniger als ein Drittel des damaligen Marktwerts anzueignen. Der Erlös stand den Eigentümern nicht zur freien Verfügung und wurde den Eigentümern zudem auf Sperrkonten überwiesen. Einige der Besitzer hatten bereits Vorbereitungen zur Flucht aus Deutschland begonnen, andere unternahmen diese kurz nach der Transaktion. Die von den Nationalsozialisten verhängten Fluchtsteuern für Juden wurden von diesen Sperrkonten eingezogen, wie auch in Gestapo-Dokumenten belegt ist, die Teil der Klageschrift sind.

Der scheinbar legale, nichtsdestotrotz tatsächlich aber erzwungene Verkauf jüdischer Besitztümer war während des "Dritten Reichs" gang und gäbe, auch und gerade in der Frühphase des Nazi-Terrors nach 1933, als es vor allem um die wirtschaftliche Eliminierung der deutschen Juden ging. Die bundeseigene Stiftung Preußischer Kulturbesitz behauptet indes weiterhin, der Verkauf sei "aus freien Stücken" und unbeeinflusst von rassischer Verfolgung erfolgt.

Wie amerikanische Presseberichte aus jener Zeit zeigen, beispielsweise ein Beitrag der Baltimore Sun aus dem Jahr 1935, sah die Wirklichkeit anders aus: Göring persönlich präsentierte die Sammlung kurz nach dem Erwerb feierlich dem "Führer", als "Überraschungsgeschenk" für Adolf Hitler. Weitere Dokumente belegen, wie der damalige NSDAP-Oberbürgermeister von Frankfurt bereits unmittelbar nach der Machtergreifung in einem Brief an den "hochverehrten Herrn Reichskanzler" Hitler persönlich auf den Welfenschatz aufmerksam machte und um Hitlers Intervention und Unterstützung für eine Rückführung der Sammlung nach Nazi-Deutschland nachsuchte.

Mit involviert waren auf Seiten der Preußischen Ministerien später auch Wilhelm Stuckart, der Mitautor eines Lehrbuchs zu den "Nürnberger Rassengesetzen" wurde, und Paul Körner, Görings "rechte Hand", zu dieser Zeit preußischer Staatssekretär. Körner war später Teilnehmer der "Wannsee-Konferenz" zur "Endlösung der Judenfrage", bei der die vollständige Vernichtung der Juden Europas beschlossen wurde.

"Die jüdischen Vorbesitzer dieser Kunstwerke wurden um ihren Besitz erpresst, während zugleich ihr Leben und das Leben ihrer Familien auf dem Spiel standen", so O'Donnell. "Der Wert der Sammlung betrug das Vier- bis Sechsfache dessen, was man den Besitzern damals bezahlte. Aber, unabhängig vom Preis der bezahlt wurde, kommt darin ein mehr als fragwürdiges Geschichtsverständnis zum Ausdruck, wenn die Stiftung Preußischer Kulturbesitz einen Verkauf durch verfolgte jüdische Händler unter den bekannten Umständen im Jahr 1935 als "freie Entscheidung" bezeichnet."

Der langjährige deutsche Anwalt der Kläger, Markus Stötzel, fügt hinzu: "Die Situation ist klar: Nachdem die Eigentümer der Sammlung wegen ihrer jüdischen Herkunft und als Besitzer der National-Ikone "Welfenschatz" öffentlich als Verräter gebrandmarkt worden waren, hatten sie Göring und den NS-Staat gegen sich und somit keine Chance."

Um ihren Besitz zu sichern, hatte die Stiftung Preußischer Kulturbesitz erst kürzlich weitere Maßnahmen zur Sicherung der Sammlung unternommen und den Welfenschatz in die Liste des "Nationalen Kulturgutes" eintragen lassen, was eine Ausfuhr der Stücke verhindern soll. Die Kläger bewerten dieses Vorgehen als durchschaubaren Versuch, eine Raubkunst-Sammlung mit allen Mitteln zu verteidigen, was jedoch keinerlei Auswirkung auf ihre Eigentumsrechte habe. "Diese einseitige Verstaatlichung ändert nichts an der Beweislage, dass der Übergang der Sammlung - wie so viele andere Enteignungsmaßnahmen gegen jüdischen Besitz - unter dem Zwang des Dritten Reiches zustande kam", so Mel Urbach, Anwalt der Kläger aus New York. "Es ist deshalb ein schändliches Manöver, durch das die illegale Aktion der Nazis noch verfestigt werden soll. Das ist ein klarer Bruch internationaler Übereinkommen zur Raubkunst, die eine faire und gerechte Lösung anmahnen", so Urbach.

Einer der Nachfahren der Kunsthändler ist Gerald Stiebel aus Santa Fe, New Mexico. Er berichtet: "Mein Großonkel Isaak hat es glücklicherweise nach Amsterdam geschafft, aber mein Vater hat immer wieder davon erzählt, was die Familie alles zurücklassen musste. Seit Jahren versuchen wir, in Deutschland Gerechtigkeit zu bekommen. Die deutschen Stellen sagen, die Nazis hätten die Sammlung in einem fairen Geschäft erworben. Wie kann das sein? Wir hoffen nun darauf, dass wir die Gerechtigkeit vor einem amerikanischen Gericht bekommen."

Zusatz Informationen

Die Klageschrift gegen die Bundesrepublik Deutschland und die Stiftung Preußischer Kulturbesitz vor dem Distriktgericht in Washington DC finden Sie hier: https://ftp.ffpr.de/_RFXaVPl7I3zIZR

Die "Washingtoner Erklärung" zur Nazi-Raubkunst finden Sie hier http://m.state.gov/md122038.htm

Quelle: OTS