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Merkels Spagat in China

Die Kanzlerin muss in Peking für die deutsche Wirtschaft werben - und viele heikle Fragen ansprechen.

Geschrieben von Reinhard Zweigler am . Veröffentlicht in Wirtschaft.
Angela Merkel
Angela Merkel
Foto: European People's Party / CC BY 2.0 via Flickr

Die Kanzlerin muss in Peking für die deutsche Wirtschaft werben - und viele heikle Fragen ansprechen.

Auf der Expo 2000 in Hannover stellte die Volksrepublik China in einem futuristischen Pavillon ihren Traum vor: Zwei chinesische Taikonauten hissen die rote Flagge auf dem Mond. So das Modell in einem streng gesicherten, abgedunkelten Saal. Für viele Europäer mutet die seltsame Mischung aus kommunistischer zentraler Führung, Wirtschaftsplänen sowie expandierender Marktwirtschaft des Reiches der Mitte nach wie vor seltsam fremd an. Doch Ziele, die man sich in Peking stellt, werden zumeist verbissen, ohne Aufwand an Mensch und Material zu scheuen, verwirklicht. Möglicherweise gelingt es Peking ja doch noch, in absehbarer Zeit Chinesen auf den Mond und wieder zurück zu bringen. Fünf Jahrzehnte, nachdem die USA diese Pionierleistung geschafft haben. Die deutsche Kanzlerin ist nun mittlerweile bereits das neunte Mal auf Staatsbesuch im Riesenreich.

Doch diesmal könnte die Visite, inklusive Regierungskonsultation in großer Runde mit Ministern sowie einer hochrangigen Wirtschaftsdelegation, zu den heikleren gehören. Wirtschaftlich ist China ein Riese, an dem niemand vorbei kommt. Es sind längst nicht mehr nur Billigprodukte, die von einem Millionenheer an Arbeitskräften produziert und exportiert werden. China mausert sich immer mehr zum Hightech-Land. Es verfügt über riesige Exportüberschüsse in Dollar und Euro. Und die Unternehmen des Westens investieren Milliarden, um auf dem chinesischen Markt Fuß zu fassen.

Deutsche Luxusautos sind bei der aufstrebenden chinesischen Oberklasse ein Statussymbol. Zugleich strecken solvente chinesische Unternehmen die Finger in andere Länder aus. Es reicht ihnen längst nicht mehr, etwa in Afrika oder Südostasien, Land, Rohstoffquellen und Produktionsstätten zu kaufen oder aus dem Boden zu stampfen. Auf der Einkaufsliste stehen heute deutsche Hightech-Unternehmen genauso wie Eisenbahnen, Häfen, Airports, von Griechenland bis Spanien. Und über staatlich vorgeschriebene Joint-Ventures hat sich China Zugang zu Spitzentechnologien verschafft. Mit dem Schutz geistigen Eigentums nahm man es eher nicht so genau. Nachahmen ist im Riesenreich seit Jahrhunderten eine Tugend. Billiger Stahl und Schiffe, die zu Dumpingpreisen angeboten werden, überfluten die Weltmärkte. Sehr zum Leidwesen der Konkurrenz. Und um Rohstoffe, etwa im chinesischen Meer wird mit harten Bandagen gekämpft. Doch man kann über Chinas Wirtschafts- und Gesellschaftssystem trefflich die Nase rümpfen, man muss die zum Teil dramatisch niedrigen Arbeits- und Sozialstandards sowie den verheerenden Raubbau an Natur und Umwelt, die schlimmen Demokratie- und Rechtsdefizite anprangern. Aber nichts mit China zu tun haben wollen, das geht nicht. Angela Merkel ist deshalb beim jetzigen Staatsbesuch wiederum zu einem einzigartigen und schwierigen Balanceakt gezwungen. Sie muss mit dem starken Mann in Peking, Staatschef Xi Jinping, sowie dem mächtigen Ministerpräsidenten Li Keqiang, einerseits die bislang fruchtbare wirtschaftlich und politische Zusammenarbeit ausbauen. Ohne die UN-Vetomacht China geht international fast nichts. Im Afghanistan-Konflikt sowie bei der Bekämpfung des IS-Terrors hat sich Peking konstruktiv gezeigt.

Andererseits jedoch muss Merkel für deutsche wirtschaftliche Interessen werben - und vor allem für Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Die Kanzlerin weiß, so etwas tut man in Peking nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern quasi durch die Blume, indirekt, mit einem freundlichen Lächeln. Die aus Ostdeutschland stammende Merkel, die ob ihrer Biografie in China bestaunt wird wie eine Exotin, beherrscht diesen Balanceakt mit Peking ohne abzustürzen.



Quelle: ots/Mittelbayerische Zeitung