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Pflicht zum Widerstand

Erhitzte Gemüter auf der einen Seite, die eine Aushöhlung der Demokratie befürchten, auf jeden Fall aber einen Angriff auf das Budgetrecht des Bundestages konstatieren. Auf der anderen Seite die Vertreter von Bundesregierung und Bundestag, die den Klägern unterstellen, ein Schreckensbild zu malen, das der Realität in keinster Weise entspricht, die einer Verniedlichung der Risiken das Wort reden, weil ansonsten Stimmungen geweckt würden, welche die Stabilität der Eurozone untergraben. Kurz: Die gestrige mündliche Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht in Sachen EZB-Anleihekaufprogramm unterscheidet sich kaum von jener aus dem Jahr 2013, als es um die gleiche Klage ging.

Geschrieben von Stephan Lorz am . Veröffentlicht in Wirtschaft.
Foto: Tobias Helfrich / CC BY-SA 3.0 (via Wikimedia Commons)

Erhitzte Gemüter auf der einen Seite, die eine Aushöhlung der Demokratie befürchten, auf jeden Fall aber einen Angriff auf das Budgetrecht des Bundestages konstatieren. Auf der anderen Seite die Vertreter von Bundesregierung und Bundestag, die den Klägern unterstellen, ein Schreckensbild zu malen, das der Realität in keinster Weise entspricht, die einer Verniedlichung der Risiken das Wort reden, weil ansonsten Stimmungen geweckt würden, welche die Stabilität der Eurozone untergraben. Kurz: Die gestrige mündliche Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht in Sachen EZB-Anleihekaufprogramm unterscheidet sich kaum von jener aus dem Jahr 2013, als es um die gleiche Klage ging.

Dabei hatten sich die Bundesverfassungsrichter seither längst ein Urteil gebildet und das auch kundgetan: Sie sind der Auffassung, dass die Ankündigung der EZB, im Notfall unbegrenzt Anleihen von Krisenstaaten aufkaufen zu wollen, weit über ihr geldpolitisches Mandat hinausgeht, in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten eingreift und gegen das Verbot monetärer Staatsfinanzierung verstößt.

Warum also die Wiederholung? Der neuerliche Verhandlungstermin ist schon deshalb gerechtfertigt, weil der Europäische Gerichtshof (EuGH) inzwischen weitgehend zugunsten der EZB entschieden hat. Das hat die Ausgangslage grundlegend verändert. Die Karlsruher Richter haben jetzt erst recht keine andere Möglichkeit mehr, als die Verfassungswidrigkeit des EZB-Beschlusses festzustellen.

Schließlich hat der EuGH der Notenbank quasi einen Freifahrtschein gegeben. Die EZB darf selber entscheiden, wie weit sie mit ihrem Instrumentarium gehen will, sofern sie ihre Beschlüsse irgendwie als geldpolitisch notwendige Handlung bemäntelt. Eine Kontrolle, ob das der Wahrheit entspricht, findet nicht statt. Die Europarichter sehen sich dazu gewissermaßen außerstande. Der EZB wurde damit die Kompetenzkompetenz verliehen, was die verfassungsrechtlichen Grundsätze der Eurozone regelrecht persifliert. Verfassungsjuristen sprechen von einer unbegrenzten Generalermächtigung statt der bisher auf der Grundlage parlamentarischer Akte begrenzten Einzelermächtigung.

Angesichts dieser Entwicklung wird der Widerstand der Notenbanker als Hüter der Verfassung zur Pflicht. Europafreundlich ist schließlich nicht nur, wer alle Entwicklungen in Brüssel und Luxemburg abnickt, wie in Teilen der Politik insinuiert, sondern auch, wer die europarechtliche Grundlagen vor deren Erosion schützt.



Quelle: ots/Börsen-Zeitung