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Die Grenze der Toleranz

Mit der Toleranz ist es eine paradoxe Angelegenheit. Muss eine tolerante, demokratische, offene Gesellschaft diejenigen tolerieren, die ihrerseits Intoleranz verkörpern, die Demokratie unterwandern, Ausgrenzung und Hass befördern? Muss echte Toleranz nicht auch für diejenigen gelten, die politisch auf der anderen Seite stehen als man selbst? Nein, das muss sie nicht. Diese entschiedene Antwort ist eine der zentralen Lehren aus dem politischen Debakel in Thüringen.

Geschrieben von Redaktion am . Veröffentlicht in Meinung.
Björn Höcke
Björn Höcke
Foto: Vincent Eisfeld / CC BY-SA 4.0 (via Wikimedia Commons)

Mit der Toleranz ist es eine paradoxe Angelegenheit. Muss eine tolerante, demokratische, offene Gesellschaft diejenigen tolerieren, die ihrerseits Intoleranz verkörpern, die Demokratie unterwandern, Ausgrenzung und Hass befördern? Muss echte Toleranz nicht auch für diejenigen gelten, die politisch auf der anderen Seite stehen als man selbst? Nein, das muss sie nicht. Diese entschiedene Antwort ist eine der zentralen Lehren aus dem politischen Debakel in Thüringen.

Die AfD hat dort in den vergangenen Wochen überdeutlich und einmal mehr gezeigt, dass sie den demokratischen Parlamentarismus gezielt zu unterwandern versucht. Ihr perfides, gefährliches Kalkül hat im thüringischen Landtag und weit darüber hinaus großen Schaden angerichtet. Kein wacher, aufrichtiger Demokrat darf das tolerieren. Das Paradoxon der Toleranz hat einst der Philosoph Karl Popper beschrieben. Es ist in seinem Buch "Die offene Gesellschaft und ihre Feinde" zu finden - und es ist kein Zufall, dass es ausgerechnet im Jahr 1945 erschien. Popper wandte sich damit gegen totalitaristische Staatsformen wie den Faschismus, Nationalsozialismus und Kommunismus. Nun soll hier nicht die Nazi-Schablone über den ganzen Freistaat Thüringen gelegt werden. Und doch trifft Poppers Ansatz mit Blick auf Erfurt den Nagel auf den Kopf: Wenn wir Toleranz auch gegenüber denjenigen walten lassen, die sich offen gegen die Demokratie wenden, dann werden die Toleranten am Ende zerrieben.

Wenn wir die AfD des Björn Höcke tolerieren, hat die Demokratie schon verloren. Doch hier gilt es, präzise zu sein: Nicht jeder, der der AfD angehört oder nahesteht, ist ein Rechtsextremer wie Höcke. Nicht jeder, der das System kritisiert, stellt automatisch eine Bedrohung für die demokratische Ordnung dar. Bei der Bundestags-Debatte zu dem rassistisch motivierten Anschlag von Hanau mahnte Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble ganz zu Recht an, dass die Fähigkeit zu differenzieren erhalten werden muss - auch und gerade unter denjenigen, die uns politisch fern stehen. Wer vorschnell pauschalisiert, treibt seinerseits ein ungutes Spiel, das Vielfalt und Toleranz unterwandert.

Doch zur Präzision gehört eben auch, dass die Höcke-AfD eine völkisch-nationalistische Ideologie vertritt. Nicht umsonst wird der "Flügel" vom Verfassungsschutz als Verdachtsfall geführt. Schon zeitnah soll diese parteiinterne Gruppierung zum offiziellen Beobachtungsobjekt hochgestuft werden. Ein gutes Zeichen.

Zu den Lehren aus Thüringen gehört auch, dass die demokratischen Parteien im Umgang mit der AfD viel Nachholbedarf haben - allen voran FDP und CDU. Sie sind bei der ersten Wahl des thüringischen Ministerpräsidenten vor viereinhalb Wochen auf das Spiel der AfD hereingefallen und eingegangen. Ja, dieser unverantwortliche Fehler wurde schon vielfach eingestanden. Doch Lippenbekenntnisse reichen längst nicht mehr aus, um die Demokratie gegen ihre Feinde zu verteidigen. Es braucht eine klare Abgrenzung im politischen Handeln. Und überarbeitete Unvereinbarkeitsbeschlüsse, die nicht undifferenziert die Abgrenzung nach rechts wie nach links über einen Kamm scheren.

Nach der Wahl des neuen und alten Ministerpräsidenten Bodo Ramelow am vergangenen Mittwoch kann man Thüringen nur wünschen, dass schnell wieder politische Ordnung in den Erfurter Landtag zurückkehrt. Doch es ist damit zu rechnen, dass sich politische Mehrheiten in Zukunft auch in anderen Ländern schwieriger finden lassen. Um dabei nicht den politischen Kompass zu verlieren, müssen sich die Parteien ihrer Werte wieder vergewissern. Wenn das gelingt, hatte Thüringen am Ende auch etwas Gutes: die Chance, das parlamentarische Miteinander wieder neu zu gestalten.

Quelle: ots/Mittelbayerische Zeitung