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Josef Schuster: "Bin nicht überzeugt, dass die Deutschen es verstanden haben"

75 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs hat der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, Zweifel daran geäußert, dass die Deutschen hinreichende Lehren aus der Vergangenheit gezogen hätten. In einem Interview mit der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (NOZ) sagte Schuster, wer in Deutschland Regierungsverantwortung trage, der wisse um die andauernde Verantwortung aus der Nazizeit. "Wenn wir Deutschland aber interpretieren als Staat mit all seinen Bewohnern und uns fragen, ob sie das ebenfalls verstanden und aus der Geschichte gelernt haben, so muss ich sagen, dass ich davon nie überzeugt war und es in der heutigen Zeit erst recht nicht bin", sagte der Zentralratspräsident.

Geschrieben von Redaktion am . Veröffentlicht in Meinung.
Josef Schuster
Josef Schuster
Foto: Freud / CC BY 3.0 (via Wikimedia Commons)

75 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs hat der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, Zweifel daran geäußert, dass die Deutschen hinreichende Lehren aus der Vergangenheit gezogen hätten. In einem Interview mit der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (NOZ) sagte Schuster, wer in Deutschland Regierungsverantwortung trage, der wisse um die andauernde Verantwortung aus der Nazizeit. "Wenn wir Deutschland aber interpretieren als Staat mit all seinen Bewohnern und uns fragen, ob sie das ebenfalls verstanden und aus der Geschichte gelernt haben, so muss ich sagen, dass ich davon nie überzeugt war und es in der heutigen Zeit erst recht nicht bin", sagte der Zentralratspräsident.

Schuster zeigte sich besorgt, dass ein gewisses Maß an Antisemitismus ein dauerhafter Fakt zu sein scheine. Hinzu käme eine gefährliche Geschichtsvergessenheit. "Sie ist gerade bei jüngeren Menschen nicht zu leugnen. Für sie ist der Zweite Weltkrieg gedanklich ähnlich weit entfernt wie das Kaiserreich; ein aktueller Bezug ist nicht mehr gegeben. Wenn rund die Hälfte der Jugendlichen den Begriff "Auschwitz" nicht kennt, läuft etwas schief", beklagte er. Gleichwohl sagte Schuster der "NOZ", es lasse sich heute in Deutschland gut leben - "auch als Jude". Viele Juden stünden auch außerhalb des Gemeindelebens zu ihren Wurzeln und bereicherten das Land. "Darüber freue ich mich, wenn Menschen wie Marina Weisband oder Oliver Polak in Politik und Kultur eine wichtige und ganz selbstverständliche Rolle spielen", sagte Schuster mit Blick auf das heutige jüdische Leben in Deutschland.

Nach der Kapitulation des Deutschen Reichs am 8. Mai 1945 lebten noch Hunderttausende Juden in Deutschland, viele als befreite Insassen aus den Konzentrationslagern. Die Zahl jüdischer Gemeindeglieder sank dann rasch auf einen Tiefststand von rund 30.000 in den 1980er-Jahren, bevor viele Juden als Flüchtlinge aus der Sowjetunion nach Deutschland kamen. Die Zahl aktueller Gemeindemitglieder gab Schuster mit rund 100.000 an. "Im Moment sehen wir einen jährlichen Rückgang von 700 bis 800. Die demografische Struktur ist da nicht ganz optimal."

Schuster sprach sich dafür aus, die Antisemitismusforschung in Deutschland zu stärken. Unter anderem gehe es darum, Lehrern ein besseres Rüstzeug an die Hand zu geben. "Fragen Sie mal einen Lehrer, was er machen würde, wenn ein Schüler auf dem Schulhof einen anderen als Jude beschimpft. Wenn die Lehrer ehrlich sind, werden viele sich nicht zu helfen wissen und darüber hinweggehen."

Quelle: ots/Neue Osnabrücker Zeitung