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Nur Mut, liebe SPD

Sanna Marin, die neue Ministerpräsidentin Finnlands und Hoffnung der finnischen Sozialdemokraten, ist mit einem großen Aufschlag ins Amt gestartet: Die 34-Jährige sprach sich für eine Vier-Tage-Arbeitswoche und einen Sechs-Stunden-Tag aus. Dieser Vorschlag hat es in sich. Nicht nur, weil er die Arbeitswelt komplett umkrempeln würde. Vor allem beweist er echten Reformwillen. Unabhängig von der konkreten Umsetzung zeigt Marins Vorstoß, dass Politik eine Welt im Wandel aktiv gestalten und mit neuen Ideen beleben kann. Wie wäre es, liebe SPD? Wie sieht der Plan für die Zukunft aus? Wo sind die mutigen Antworten auf drängende Fragen der Zeit?

Geschrieben von Jana Wolf am . Veröffentlicht in Meinung.
Sanna Marin, Ministerpräsidentin Finnland (jüngste Regierungschefin weltweit)
Sanna Marin, Ministerpräsidentin Finnland (jüngste Regierungschefin weltweit)
Foto: Demarit / CC BY-ND 2.0 (via Flickr)

Sanna Marin, die neue Ministerpräsidentin Finnlands und Hoffnung der finnischen Sozialdemokraten, ist mit einem großen Aufschlag ins Amt gestartet: Die 34-Jährige sprach sich für eine Vier-Tage-Arbeitswoche und einen Sechs-Stunden-Tag aus. Dieser Vorschlag hat es in sich. Nicht nur, weil er die Arbeitswelt komplett umkrempeln würde. Vor allem beweist er echten Reformwillen. Unabhängig von der konkreten Umsetzung zeigt Marins Vorstoß, dass Politik eine Welt im Wandel aktiv gestalten und mit neuen Ideen beleben kann. Wie wäre es, liebe SPD? Wie sieht der Plan für die Zukunft aus? Wo sind die mutigen Antworten auf drängende Fragen der Zeit?

Während sich Finnlands Sozialdemokraten mit progressiven Ideen hervortun, sind die hiesigen Genossen in diesem Jahr vor allem um sich selbst gekreist. Dabei gibt es große Herausforderungen, für die Konzepte gefragt sind. Allein in der Arbeitspolitik: Die Digitalisierung ist in vollem Gang und verändert Arbeitsabläufe rasant. Durch intelligente Systeme werden Produktionsjobs überflüssig. Autonome Fahrzeuge werden menschliche Fahrer ersetzen, ob in Lieferketten, Bussen oder Taxis. Die gerade für Bayern wichtige Automobilbranche steht massiv unter Druck. Viele Tätigkeiten werden an Leiharbeitsfirmen ausgegliedert, oft unter prekären Bedingungen. Das ist nur ein winziger Ausschnitt der Aufgaben, die es politisch zu lösen gilt. Dabei sollte gerade die Arbeit das sozialdemokratische Leib-und-Magen-Thema sein. Sollte.

Die SPD ist längst nicht mehr als die Kraft erkennbar, die verlässlich für die Anliegen der arbeitenden Bevölkerung kämpft. Das ureigene Profil der mehr als 150 Jahre alten Partei ging in langen, bleiernen GroKo-Jahren immer mehr verloren. Nun ist die SPD allzu oft die Abladehalde für Kritik und Häme, auch durch die Medien. Dabei muss man ihr zugute halten, dass sie beim Parteitag Anfang Dezember in Berlin die Erneuerung versuchte. Einstimmig und euphorisch verabschiedeten die Genossen ihr neues Sozialstaatskonzept, das endgültig die Abkehr von der Agenda 2010 Gerhard Schröders und von Hartz IV besiegeln soll. Damit will die SPD etwa ein Recht auf mobiles Arbeiten und Homeoffice schaffen, den Zugang zu Weiterbildung erleichtern und finanziell unterstützen, Unternehmen mit Tarifbindung belohnen und so für faire Löhne sorgen. Das sind gute Signale, die auf eine veränderte Arbeitswelt reagieren. Doch es bleibt eben beim Reagieren. Zum aktiven Gestalten reicht der SPD die Kraft nicht. Und so verfestigt sich der Eindruck, dass sich die Sozialdemokraten immer noch am alten Agenda-Trauma abarbeiten, anstatt mit wachem Geist Ideen für eine Gesellschaft von morgen zu entwickeln.

Viel wurde dieses Jahr über die endlos scheinende Suche nach einer neuen Parteispitze diskutiert. Nun, da sie mit dem Duo Esken und Walter-Borjans gefunden ist, kreist alles darum, ob die GroKo bis 2021 hält - derzeit spricht vieles dafür. Die zentrale Frage aber ist eine andere: Welche Rolle übernimmt die Sozialdemokratie in unserer Gesellschaft? Was kann sie - jenseits von Personal- und Machtfragen - für die Menschen leisten? Das hat die SPD bis jetzt nicht geklärt. Sie schiebt die Antwort vor sich her, anstatt mit Mut und Ambition ein Gesellschaftsbild für die Zukunft zu entwerfen. Diese Richtungslosigkeit kostet Wählerstimmen und sorgt selbst in den eigenen Reihen für Frust. Bei der Wahl der Parteispitze hat die Basis klar mit dem bisherigen Kurs abgerechnet. Der Schuss war unüberhörbar. Man muss kein Anhänger der Sozialdemokraten sein, um sich eine starke politische Kraft der linken Mitte zu wünschen. Sie täte unserer Gesellschaft gut. Man kann der SPD nur wünschen, dass sie schnell die Frage ihrer sozialen und politischen Relevanz geklärt bekommt. Man kann der SPD nur mehr vom finnischen Mut wünschen.



Quelle: ots/Mittelbayerische Zeitung