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Staatsversagen allererster Güte: Arbeitsbedingungen im Pakettransportgewerbe

In der SWR Dokumentation "Leif trifft: Das arme Deutschland" am 16. März, 20:15 Uhr im SWR Fernsehen, berichten betroffene Fahrer über "sklavenähnliche" Arbeitsbedingungen und den Druck, mit überladenen Fahrzeugen zu fahren: "Man ist mit einem Fuß im Knast, mit einem im Grab", sagt ein ehemaliger Fahrer mit langjähriger Erfahrung.

Geschrieben von Redaktion am . Veröffentlicht in Medien.
Thomas Leif
Thomas Leif
Foto: SWR - Das Erste - Fotoredaktion

In der SWR Dokumentation "Leif trifft: Das arme Deutschland" am 16. März, 20:15 Uhr im SWR Fernsehen, berichten betroffene Fahrer über "sklavenähnliche" Arbeitsbedingungen und den Druck, mit überladenen Fahrzeugen zu fahren: "Man ist mit einem Fuß im Knast, mit einem im Grab", sagt ein ehemaliger Fahrer mit langjähriger Erfahrung.

Fahrer von Paketdienstleistern werden von ihren Arbeitgebern mit massiven Strafzahlungen überzogen, wenn "Fehler" bei der Zustellung vorkommen. Dies berichtet der SWR unter Berufung auf den 16 Punkte umfassenden "Vertragsstrafenkatalog" eines Paketdienstleisters. Demnach wird das Abstellen eines Pakets ohne Abstellerlaubnis mit 75 Euro Lohnabzug geahndet. Eine "Paketzustellung ohne Unterschrift" wird ebenfalls mit 75 Euro bestraft. Das heißt: Wenn nur ein solcher Fall vorkommt, verliert der Fahrer fast einen gesamten durchschnittlichen Tageslohn. "Fehlerhaftes Pakethandling (Werfen)" wird mit 50 Euro "pro Vorfall" bestraft. Wenn ein Fahrer "keine oder unvollständige Imagekleidung" trägt oder mit einem stark verschmutzten Fahrzeug unterwegs ist, muss er dafür jeweils 25 Euro an den Arbeitgeber zahlen.

Seltene Kontrollen mit auffälligen Ergebnissen Bei der bisher letzten großen Kontrollaktion in Rheinland-Pfalz im Dezember 2013 wurden bei einem Unternehmen im Raum Koblenz 133 Fahrer überprüft. Ergebnis: Fast die Hälfte der kontrollierten Fahrer hatte die vorgeschriebenen Lenk- und Ruhezeiten nicht eingehalten. 65 Fahrer hatten die Tageskontrollblätter mangelhaft geführt. Sieben Fahrzeuge wurden von der Polizei wegen erheblicher Mängel aus dem Verkehr gezogen.

Eine ähnliche alarmierende Bilanz ergab eine Kontrollaktion des Arbeitsschutzes in Nordrhein-Westfalen im Mai 2014. Mehr als 60 Prozent der kontrollierten Dienstleister hatten die vorgeschriebenen Arbeitszeitgesetze nicht eingehalten.

Die Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) der Zollverwaltung, die u. a. die Einhaltung von Mindestlöhnen kontrolliert, konnte auf Nachfrage des SWR keine konkreten Angaben über Umfang und Erfolg von Kontrollen machen: "Ob Prüfungen im Bereich Paket- und Lieferservice durchgeführt wurden, lässt sich der Arbeitsstatistik der FKS nicht entnehmen, da dieser Bereich nicht gesondert erfasst wird."

"Sklavenähnliche" Arbeitsbedingungen

In einem typischen Arbeitsvertrag der Branche, der dem SWR vorliegt, ist festgelegt, dass die Fahrer in einer Schicht mindestens 100 Pakete ausliefern müssen. Da dieses Volumen in der Regel nicht in einer Regelarbeitszeit von acht Stunden zu schaffen ist, fallen regelmäßig nicht zulässige überlange Arbeitszeiten und unbezahlte Überstunden an.

"Organisierte Verantwortungslosigkeit" Der Koblenzer Arbeitsmarkt-Experte, Prof. Dr. Stefan Sell, kritisierte im SWR die mangelnden Kontrollen der zuständigen Behörden und spricht von einer "organisierten Verantwortungslosigkeit": "Wir haben es hier mit einem Staatsversagen allererster Güte zu tun, weil dieser Bereich kaum kontrolliert wird. Wir bräuchten eigentlich eine wirklich effektive, schlagkräftige Arbeitskontrolle. Die haben wir aber in Deutschland nicht. Das ist alles schön verteilt. Und weil sie alles schön verteilen, ist am Ende keiner mehr zuständig." Sell weiter: "Man hat immer noch ein Reservoir osteuropäischer Fahrer, die sich noch extremer ausbeuten lassen."

Der für das Transportgewerbe zuständige Koblenzer Gewerkschaftssekretär Sigurd Holler bewertet das Transportgewerbe gegenüber dem SWR als eine "Schattengesellschaft": "Das ist modernes Sklaventum, Ausbeutertum - und wir schauen alle weg. Die Fahrer kriegen ja kaum mehr Geld raus als ein Hartz IV-Empfänger. Sie leben von der Hand in den Mund, wenn sie überhaupt davon leben können."

Hinweis: Nach Angaben des Bundesverbandes Paket und Expresslogistik (BIEK) stieg der Branchenumsatz 2014 auf 16,6 Milliarden Euro. Die Branche beschäftigte erstmals mehr als 200.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.



Quelle: ots/SWR