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Die Lage der SPD ist existenziell - Nun bricht die 150 Jahre alte Partei ihre Strukturen auf

Will man die desolate Lage der SPD auf einen Begriff bringen, dann lautet dieser: Widersprüche. Die Sozialdemokraten regieren in einer ungeliebten Koalition und wollen gleichzeitig Begeisterung für die eigene Arbeit wecken. Sie folgen als Juniorpartner gezwungenermaßen Merkels Politik der kleinen Schritte und wollen gleichzeitig das Gefühl vermitteln, dass ihnen der große Wurf gelingen kann. Sie kauen tagtäglich das Schwarzbrot kleinteiliger Regierungsarbeit und wollen gleichzeitig zeigen, dass die Zukunft rot, gern rot-grün, jedenfalls farbenfroh sein kann. Und nicht zuletzt: Sie haben einen Spitzenposten zu vergeben und keiner will ihn so recht machen.

Geschrieben von Jana Wolf am . Veröffentlicht in Politik.
Foto: SPD Schleswig-Holstein / CC BY 2.0 (via Flickr)

Will man die desolate Lage der SPD auf einen Begriff bringen, dann lautet dieser: Widersprüche. Die Sozialdemokraten regieren in einer ungeliebten Koalition und wollen gleichzeitig Begeisterung für die eigene Arbeit wecken. Sie folgen als Juniorpartner gezwungenermaßen Merkels Politik der kleinen Schritte und wollen gleichzeitig das Gefühl vermitteln, dass ihnen der große Wurf gelingen kann. Sie kauen tagtäglich das Schwarzbrot kleinteiliger Regierungsarbeit und wollen gleichzeitig zeigen, dass die Zukunft rot, gern rot-grün, jedenfalls farbenfroh sein kann. Und nicht zuletzt: Sie haben einen Spitzenposten zu vergeben und keiner will ihn so recht machen.

Die Genossen taumeln im Angesicht all dieser Widersprüche. In einer solchen Lage kann einem schon mal schwindelig werden. Eine neue Spitze soll's nun richten: regieren und begeistern, Sacharbeit leisten und Leidschaft versprühen. Betrachtet man die aktuellen Zustimmungswerte, dann traut ein immer kleiner werdender Teil der Wählerschaft den Genossen die Bewältigung dieser Aufgaben zu. Zwischen 11 und 14 Prozent liegt die SPD derzeit im Bund, bei gerade noch 8 in Bayern. Hinzu kommt, dass im Herbst Landtagswahlen in drei ostdeutschen Bundesländern anstehen, bei denen der Partei erneut eine deftige Klatsche droht.

Kein Wunder also, dass bei der Suche nach einem neuen Chef niemand vorprescht und laut ruft: "Hier hier, ich mach's!" Mittlerweile erscheinen die Herausforderungen zu groß für eine Person, diese Partei erfolgreich zu führen. Parteiintern macht sich die Erkenntnis breit, dass es an der Zeit ist, Verantwortung zu teilen. Die 150 Jahre alte SPD bricht ihre Strukturen auf und öffnet sich für eine Doppelspitze. Team-Bewerbungen hießen die kommissarischen Parteichefs Malu Dreyer, Manuela Schwesig und Thorsten Schäfer-Gümbel Anfang der Woche ausdrücklich willkommen.

Ab kommenden Montag bis zum 1. September können sich also Duos, aber auch Einzelpersonen um den wenig begehrten Posten bewerben. Ganz so, als wollten die Sozialdemokraten nach Wochen harter Personalkämpfe dem 100 Jahre alten Arbeiterlied "Wann wir schreiten Seit' an Seit'" zu neuem Recht verhelfen. Die Lage der SPD ist existenziell. Es geht um politische Glaubwürdigkeit. Um die Frage, ob es der Partei gelingt, sozialdemokratische Werte neu zu beleben. Ob sie Begriffe wie Solidarität, Gerechtigkeit und Umverteilung mit konkreten Inhalten füllen kann. Rücken die Sozialdemokraten also in schwierigen Zeiten zusammen? Hört man führenden Köpfen der Partei in diesen Tagen zu, dann wirkt es fast so, als sei ihnen die Brisanz der Lage nicht recht bewusst. So denken Vize-Kanzler Olaf Scholz und Übergangschefin Manuela Schwesig dieser Tage laut darüber nach, dass die SPD doch nach der nächsten Wahl den Kanzler stellen könne.

Fast möchte man diesen ungebrochenen Optimismus bewundern, wäre er angesichts gerade noch zweistelliger Prozentwerte nicht so unfassbar realitätsfern. Wer hat den realistischen Blick und mutige Ideen zugleich? Wer kann glaubhaft vermitteln, die aktuelle Krise in den Griff zu bekommen, und gleichzeitig Lust auf Zukunft machen? Und schließlich: Wer kann die SPD aus ihren unübersehbaren Widersprüchen befreien? Das ist eine Herkulesaufgabe - und zu viel für einen allein. Insofern ist es der richtige Schritt, dass die Partei sich für ein Führungsduo öffnet. Mit zweien, die in unterschiedliche Richtungen steuern und konkurrierende Parteiflügel vertreten, wäre der SPD aber nicht geholfen. Ein Duo muss Einigkeit ausstrahlen, damit die Sozialdemokratie wieder glaubhaft wird. Mit ihrem "Seit' an Seit'" ist die SPD lang genug auf der Stelle getreten.



Quelle: ots/Mittelbayerische Zeitung