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Kanzlerin ohne Dämmerung

Der mit allen politischen Wassern gewaschene Alexander Dobrindt zeigt trotzig in Richtung SPD. Die Sozialdemokraten sollten gefälligst raus aus ihrer Sinnkrise und rein in den Regierungsmodus kommen. Allerdings vertauscht der Chef der CSU-Landesgruppe im Bundestag bei seiner wohlfeilen Aufforderung Ursache und Wirkung. Es sind diesmal nicht die Nahles, Scholz und Co., die ein Jahr nach Amtsantritt der jetzigen Regierung eine Kanzlerinnen-Dämmerung heraufbeschwören, sondern die Szenarien für einen Abgang von Angela Merkel kommen aus der Union selbst.

Geschrieben von Reinhard Zweigler am . Veröffentlicht in Politik.
Angela Merkel im Deutschen Bundestag
Angela Merkel im Deutschen Bundestag
Foto: Tobias Koch - OTRS / CC BY-SA 3.0 de (via Wikimedia Commons)

Der mit allen politischen Wassern gewaschene Alexander Dobrindt zeigt trotzig in Richtung SPD. Die Sozialdemokraten sollten gefälligst raus aus ihrer Sinnkrise und rein in den Regierungsmodus kommen. Allerdings vertauscht der Chef der CSU-Landesgruppe im Bundestag bei seiner wohlfeilen Aufforderung Ursache und Wirkung. Es sind diesmal nicht die Nahles, Scholz und Co., die ein Jahr nach Amtsantritt der jetzigen Regierung eine Kanzlerinnen-Dämmerung heraufbeschwören, sondern die Szenarien für einen Abgang von Angela Merkel kommen aus der Union selbst.

Offiziell will man von dem Thema zwar nichts wissen, doch hinter vorgehaltener Hand und in internen Runden wird in Unionskreisen derzeit heftig gestritten. Wäre es nicht besser, wenn die neue CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer schon bald als Chefin ins Kanzleramt einziehen würde, um mit dem Pfund des Regierungsamtes im Rücken 2021 - oder wann immer gewählt werden wird - als Unionsspitzenkandidatin in den Wahlkampf zu ziehen?

Ein solches Argument hat einiges für sich. Helmut Kohl etwa konnte nach dem für ihn erfolgreichen Misstrauensvotum Anfang der 80er Jahre die folgende Bundestagswahl klar gewinnen. Der Kanzlerbonus zog. Warum sollte das knapp vierzig Jahre später anders sein? Doch so einfach geht der Wechsel an der Regierungsspitze nicht. Ein Problem ist etwa, dass Angela Merkel gar nicht daran denkt, nach bislang 13 Regierungsjahren vorzeitig in Rente zu gehen. Obwohl sie in diesem Jahr das 65 Lebensjahr erreicht. Die Nur-noch-Kanzlerin scheint vielmehr, ihre neugewonnene politische Unabhängigkeit - von der eigenen Partei und von der Union insgesamt - in vollen Zügen zu genießen.

Maxime ihres Regierens sind die Festlegungen des schwarz-roten Koalitionsvertrages, weniger oder gar nicht die Beschlüsse von CDU-Parteitagen. Die im Dezember nur knapp zur Partei-Chefin gewählte Kramp-Karrenbauer macht gerade die bittere Erkenntnis, dass sie eine Königin ohne wirkliche Macht ist. Sie verfügt jedenfalls über keine brauchbaren Mittel, um Merkel von der Regierungsspitze zu verdrängen. Sie hat zudem weder ein Bundestagsmandat noch ein Regierungsamt. Merkel indes hat weiterhin alle Fäden in der Hand. Und bemerkenswerterweise ist im Machtpoker der Union die SPD die stärkste Verbündete der Bundeskanzlerin. Solange die Sozialdemokraten Merkel die Gefolgschaft nicht aufkündigen, wird sie Kanzlerin bleiben.

Andererseits hat man in der SPD auch keinerlei Interesse daran, mit AKK eine neue Regierungschefin mitzuwählen, gegen die dann ein oder ein SPD-Kanzlerkandidat antreten müsste. Selbst wenn Angela Merkel schon bald von sich aus den Kanzlerinnenjob aufgeben sollte, würde das nicht automatisch zu einer Regierungschefin Kramp-Karrenbauer führen, sondern eher zu vorzeitigen Neuwahlen. Oder vielleicht doch zu erneuten Verhandlungen über ein Jamaika-Bündnis. FDP-Chef Christian Lindner, der vor allem wegen der Person Merkel im November 2017 die Gespräche mit Union und Grünen platzen ließ, rührt bereits heftig die Werbetrommel für einen Jamaika-Neuversuch.

Die Crux an einem solchen Szenarium ist freilich, dass sich Geschichte nicht so einfach wiederholt. Die Grünen etwa können heute vor Kraft kaum laufen. Themen wie der Klimaschutz, der Kampf gegen das Artensterben oder gesündere Ernährung haben ihnen gehörigen Zulauf und Wählerzustimmung beschert. Habeck, Baerbock, Hofreiter und Co. würden heute wahrscheinlich eher auf vorgezogene Neuwahlen setzen, denn auf einen neuen Jamaika-Aufguss. Hinzu kommt, dass sich SPD und Grüne, beide auf pragmatischem Linksschwenk, wieder leicht annähern.



Quelle: ots/Mittelbayerische Zeitung