Linkes Projekt ohne Perspektive
Es ist Sommer. Da weitet sich der Horizont, fliegen die Gedanken hoch. Gleichzeitig wächst die Gefahr, Hirngespinste auszubrüten und Luftschlösser zu bauen. Ein solches wächst - zumindest gedanklich - im linksliberalen bis linken Spektrum des deutschen Parteiensystems heran. Der Traum von einer "Mehrheit diesseits der Union", wie ihn die SPD-Ikone Willy Brandt vor bald 40 Jahren ausrief, mag derzeit jenseits der Vorstellungskraft der meisten Wählerinnen und Wähler liegen, doch geistert er wieder mal durchs Land.
Es ist Sommer. Da weitet sich der Horizont, fliegen die Gedanken hoch. Gleichzeitig wächst die Gefahr, Hirngespinste auszubrüten und Luftschlösser zu bauen. Ein solches wächst - zumindest gedanklich - im linksliberalen bis linken Spektrum des deutschen Parteiensystems heran. Der Traum von einer "Mehrheit diesseits der Union", wie ihn die SPD-Ikone Willy Brandt vor bald 40 Jahren ausrief, mag derzeit jenseits der Vorstellungskraft der meisten Wählerinnen und Wähler liegen, doch geistert er wieder mal durchs Land.
Gleichsam revitalisiert hat diesen ideologischen Untoten Saskia Esken, die Co-Vorsitzende der SPD. Den dazu passenden Kanzlerkandidaten hatte die Sozialdemokratie indes nicht parat, sie präsentierte stattdessen Olaf Scholz, der im progressiven Lager allemal das Zeug zum Partyschreck hat. Nur zur Erinnerung: Die nun beschworene, ja herbeigesehnte linke Mehrheit gab es schon mal - nämlich nach der Bundestagswahl 2013, als der Souverän der FDP den Wiedereinzug ins Parlament verwehrte. Nur waren die programmatischen Gräben zwischen SPD, Grünen und Linken damals zu tief, das Polster von lediglich sechs Mandaten zu dünn. Die Option wurde ohne große Erörterung verworfen. Möglicherweise fahrlässig, wie sich rückblickend konstatieren lässt. Denn die SPD forcierte als Juniorpartner von CDU und CSU in der zweiten Großen Koalition unter Kanzlerin Angela Merkel ihr Siechtum.
Schon auf der Ebene der Demoskopie spricht wenig bis nichts für Eskens Vision, auch wenn sie von Kevin Kühnert bis hin zu Katja Kipping viele teilen. Zwar mag der Höhenflug der Union in den Meinungsumfragen temporärer Natur sein, aber eine Majorität der Sitze für ein grün-rot-rotes oder rot-grün-rotes Bündnis im kommenden Bundestag scheint angesichts der konstant schwachbrüstigen Werte fernab realistischer Erwartungen zu liegen. Ganz abgesehen davon fehlt dem Projekt neben einem großen gemeinsamen Nenner die Perspektive. In der Geschichte der Republik eroberten jeweils Sozialdemokraten die Macht, wenn es galt, einen Reformstau aufzulösen. Das war 1969 mit Brandt an der Spitze nicht anders als 1998, als Gerhard Schröder die erste rot-grüne Koalition anführte.
Nun mag man argumentieren, dass sowohl beim Klimaschutz als auch beim Thema soziale Gerechtigkeit dringender Handlungsbedarf besteht. Beides unter einen Hut zu bringen, würde aber einen Spagat erfordern, der den Grünen und Linken, vor allem aber der SPD Verrenkungen bis über die Schmerzgrenze hinaus abnötigt. Als Beispiel mag die strikte Absage an eine Kaufprämie für Verbrennungsmotoren taugen, die den Sozialdemokraten zwar den Beifall der Fridays-for-Future-Bewegung einträgt, jedoch die um ihre Jobs bangenden Beschäftigten der Automobilindustrie vor den Kopf stößt. Diese galten früher mal als eine Kernklientel der guten, alten SPD.
Größter Hemmschuh für ein Bündnis mit progressiven Ambitionen ist freilich die Verbürgerlichung der Grünen. Die einstigen Schmuddelkinder des Politikbetriebs haben sich in der Rolle des Interessenvertreters einer saturierten Mittelschicht behaglich eingerichtet. Als Hüter der Liberalität wetteifern sie mit der FDP. Derweil ist es bezeichnend, dass die ewige Debatte über den Sinn oder Unsinn der Hartz-Reformen, die von den Grünen seinerzeit in Regierungsverantwortung mitverantwortet wurden und die SPD bis heute vor Zerreißproben stellen, an der Partei öffentlich spurlos vorübergeht. Durch ausgeprägtes Gespür für soziale Nöte fielen die Grünen zuletzt nicht auf. So erscheint eine schwarz-grüne Verbindung nach den kommenden Wahlen bereits jetzt so gut wie alternativlos. Die Agenda lautet: Versöhnung von Ökologie und Ökonomie. Und dabei handelt es sich um ein Projekt mit Perspektive.