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Bei VW geht es um mehr

Eines ist sicher: Die Klage von 469.000 Autobesitzern wird Rechtsgeschichte schreiben. Allein die Zahl der von Volkswagen mutmaßlich Geschädigten und natürlich das Delikt sind so außergewöhnlich, dass dieser Prozess weltweite Aufmerksamkeit erregt hat. Welche Dimension der Fall hat, zeigte allein die Räumlichkeit. Das Gericht musste die Braunschweiger Stadthalle mieten, um Kläger, Anwälte und Journalisten unterzubringen. Dass am Ende viele Reihen leer blieben, war wohl eher dem Sturm "Mortimer" und weniger dem Desinteresse am Fall zu verdanken.

Geschrieben von Jörg Quoos am . Veröffentlicht in Themen.
Foto: Vanellus Foto / CC BY-SA 3.0 (via Wikimedia Commons)

Eines ist sicher: Die Klage von 469.000 Autobesitzern wird Rechtsgeschichte schreiben. Allein die Zahl der von Volkswagen mutmaßlich Geschädigten und natürlich das Delikt sind so außergewöhnlich, dass dieser Prozess weltweite Aufmerksamkeit erregt hat. Welche Dimension der Fall hat, zeigte allein die Räumlichkeit. Das Gericht musste die Braunschweiger Stadthalle mieten, um Kläger, Anwälte und Journalisten unterzubringen. Dass am Ende viele Reihen leer blieben, war wohl eher dem Sturm "Mortimer" und weniger dem Desinteresse am Fall zu verdanken.

Es geht um sehr viel in diesem Musterfeststellungsverfahren, das vom einflussreichen ADAC unterstützt wird. An erster Stelle wollen Kunden Gerechtigkeit und Entschädigung. Das ist mehr als verständlich. Sie sind Opfer eines "Betrugs" durch Volkswagen - so deutlich hat es VW-Vorstandschef Herbert Diess in einer Talkshow öffentlich eingestanden. VW war da nicht immer so ehrlich. Offiziell heißt die Affäre bei Volkswagen "Diesel-Thematik". Auch diese plumpe Sprachbeschönigung machte die Kunden am Ende nur noch wütender. Jetzt stellt sich den Richtern die Frage, wie groß der Schaden wirklich ist, der einem Kunden entstanden ist. Diese Bewertung ist äußerst schwierig, weil die Fahrzeuge - bis auf die erhöhten Abgaswerte - funktionierten und immer noch funktionieren. Geschädigter ist in jedem Fall die Umwelt. Aber wem steht da ein Schadenersatz zu?

Zu erwarten sind in jedem Fall ein zeitaufwendiger Expertenstreit und ein Verfahren, das im Extremfall mehrere Jahre dauern kann. Die ersten Anwälte empfehlen bereits, die Sammelklage zu verlassen und individuell zu klagen, damit VW-Kunden schneller an ihr Geld kommen. Das ist auch im Sinne von Anwälten, denen der Dieselbetrug ein gigantisches Geschäft beschert hat. Mit dem Unterschied: Sie bekommen schon Geld - ihre Mandanten müssen noch warten. Grundsätzlich wäre es klug gewesen, wenn der Volkswagen-Konzern früher die Kraft für eine klare Entschuldigung bei seinen Kunden gefunden hätte. Denn viele Kläger sind schlicht von Wut und Frust getrieben und wollen es "denen da oben" zeigen, die - statt sich zu entschuldigen - Kunden mit ihrer VW-Werkstatt-Bürokratie zusätzlich traktiert haben. Wenn jetzt tatsächlich Geld fließt, könnte das enttäuschte Kunden versöhnen, auch wenn die Entschädigung sehr spät kommt.

Für den Volkswagen-Konzern steht jedoch am meisten auf dem Spiel. Sollte das Verfahren schlecht laufen und hohe Forderungen fällig werden, wird das Haus danach nicht mehr dasselbe sein wie vor dem Abgasbetrug. Schon jetzt hat der Konzern 30 Milliarden Euro gezahlt. Wie viele Milliarden VW noch hinterherpumpen muss, ist völlig unklar. Schließlich geht es um fast zehn Millionen betroffene Autos. Klar ist aber nicht nur im VW-Vorstand: Eine Regelung wie in den USA mit Entschädigungssummen von bis zu 9000 Euro pro Fahrzeug ist für das Unternehmen nicht zu schultern. Der größte deutsche Automobilhersteller, die über 650.000 Arbeitsplätze und der notwendige Masseneinstieg in die E-Mobilität wären akut bedroht. Das kann nicht im Interesse des Wirtschaftsstandortes Deutschland sein. Daher wäre ein schneller Vergleich mit Augenmaß das Beste, was den Kunden, dem Konzern und der ganzen deutschen Automobilbranche mit ihren Millionen Beschäftigten passieren kann. Schon viel zu lange vergiftet dieser unsägliche Betrug einzelner Manager den Ruf einer ganzen Branche, die es auch ohne die Abgasaffäre schwer genug hat.



Quelle: ots/Berliner Morgenpost