„Implant Files“ – Das gefährliche Geschäft mit der Gesundheit
In Deutschland werden immer mehr Menschen durch gefährliche Implantate verletzt oder getötet. Die Zahl der nachgewiesenen Probleme mit Medizinprodukten war 2017 so hoch wie nie zuvor, die Zahl der Verdachtsmeldungen hat sich in den vergangenen zehn Jahren verdreifacht. Entscheidende Informationen halten die Behörden unter Verschluss. Das zeigen Recherchen des Norddeutschen Rundfunks (NDR), des Westdeutschen Rundfunks (WDR) und der Süddeutschen Zeitung (SZ) in Zusammenarbeit mit dem internationalen Konsortiums für Investigative Journalisten (ICIJ) sowie von rund 60 Medienpartnern. Die Recherchen werden unter dem Titel „Implant Files“ weltweit veröffentlicht.
In Deutschland werden immer mehr Menschen durch gefährliche Implantate verletzt oder getötet. Die Zahl der nachgewiesenen Probleme mit Medizinprodukten war 2017 so hoch wie nie zuvor, die Zahl der Verdachtsmeldungen hat sich in den vergangenen zehn Jahren verdreifacht. Entscheidende Informationen halten die Behörden unter Verschluss. Das zeigen Recherchen des Norddeutschen Rundfunks (NDR), des Westdeutschen Rundfunks (WDR) und der Süddeutschen Zeitung (SZ) in Zusammenarbeit mit dem internationalen Konsortiums für Investigative Journalisten (ICIJ) sowie von rund 60 Medienpartnern. Die Recherchen werden unter dem Titel „Implant Files“ weltweit veröffentlicht.
Medizinprodukte können Leben retten oder Beschwerden lindern; allerdings können sie auch schweren Schaden anrichten, wenn sie schlecht entwickelt und kontrolliert sind. In Deutschland wurden allein im Jahr 2017 insgesamt 14.034-mal Verletzungen, Todesfälle und andere Probleme im Zusammenhang mit Medizinprodukten gemeldet. Das Bundesgesundheitsministerium bestätigte, dass die zuständige Behörde, das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), einen Anstieg von gemeldeten Fällen, bei denen eine „produktbezogene Ursache“ vorgelegen habe, registriert habe. Das Ministerium verweist allerdings darauf, dass nicht bei jedem Vorkommnis zwingend ein Tod oder eine schwerwiegende Gesundheitsverschlechterung eingetreten sei. Woran der Anstieg genau liegt, kann auch das Ministerium nicht erklären, da wichtige Daten überhaupt nicht erfasst werden – etwa wie viele Medizinprodukte eingesetzt werden.
Die Dunkelziffer dürfte nach Recherchen von NDR, WDR und SZ jedoch erheblich höher sein, da Hersteller, Ärzte und Krankenhäuser dem Staat nur wenige Fälle mitteilen, obwohl sie zur Meldung verpflichtet sind. Wie hoch die Diskrepanz sein kann, zeigt das Beispiel Brustimplantate: So wurden im Jahr 2017 in deutschen Kliniken 3170 Implantate allein deshalb herausoperiert, weil das Gewebe um die Silikonkissen schmerzhaft vernarbt war. Gemeldet wurden jedoch nur 141 Fälle. Ärzte und Kliniken würden regelmäßig auf ihre Meldeverpflichtung hingewiesen, teilte das Bundesministerium für Gesundheit dazu mit.
Die Behörden überlassen es zudem den Herstellern in der Regel selbst, fehlerhafte Produkte zurückzurufen oder Sicherheitswarnungen auszusprechen. Seit 2010 geschah dies pro Jahr etwa 1000-mal, durchschnittlich rund dreimal pro Tag. Von den Behörden wurde ein Rückruf im gleichen Zeitraum offenbar nur sechsmal angeordnet. Häufig wird bei fehlerhaften Produkten überhaupt nichts unternommen: In der Hälfte der Fälle wurden zwischen 2005 und 2016 selbst bei Produkten der höchsten Risikoklasse, zu denen etwa Herzschrittmacher, Knieprothesen und Brustimplantate zählen, keinerlei Maßnahmen ergriffen.
Regelmäßig implantieren Ärzte ihren Patienten Produkte, die kaum getestet worden sind. Selbst das Gesundheitsministerium geht laut internen Unterlagen aus dem Jahr 2016 davon aus, dass es lediglich für eines von zehn Medizinprodukten der höchsten Risikostufe klinische Daten gibt. SZ, NDR und WDR konnten die entsprechenden Dokumente einsehen. Für Patienten kann das schwerwiegende gesundheitliche Folgen haben, die allerdings häufig gar nicht an die Öffentlichkeit gelangen. Indem sie Entschädigungszahlungen an eine Verschwiegenheitsverpflichtung koppeln, hindern Unternehmen betroffene Patienten daran, über ihren Fall zu reden.
Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) weiß zwar als zuständige Überwachungsbehörde, welche Produkte in den vergangenen Jahren zu den meisten Toten und Verletzten geführt haben – auf Anfrage verweigerten jedoch sowohl BfArM als auch Gesundheitsministerium Auskunft über die betroffenen Geräte und Prothesen. Dies seien vertrauliche Informationen. Eine öffentlich einsehbare Datenbank dazu gibt es weder auf Bundesebene noch bei der Europäischen Union (EU).
Das Geschäft mit künstlichen Gelenken, Hörgeräten oder Schrittmachern wächst. Immer mehr Menschen bekommen solche Hilfsmittel, die Technik wird ausgefeilter, die Geräte kleiner, die Eingriffe unkomplizierter. Das Gesundheitsministerium schätzt das jährliche Volumen des Weltmarkts auf rund 282 Milliarden Euro. Allein deutsche Unternehmen setzen damit rund 30 Milliarden Euro im Jahr um und beschäftigen rund 210.000 Menschen. Nach den USA und China ist Deutschland der drittgrößte Markt für Medizinprodukte.
Gleichzeitig ist das Implantationssystem manipulierbar, fehlerhaft und zum Teil korrupt, wie die „Implant Files“-Recherche zeigt. In den vergangenen zehn Jahren mussten Medizinproduktehersteller mehr als 1,6 Milliarden Dollar zahlen, um Korruptions- und Betrugsvorwürfe beizulegen. Dies geht aus einer ICIJ-Analyse von Daten der US-amerikanischen Börsenaufsicht SEC sowie des US-Justizministeriums hervor.
Obwohl Medizinprodukte für viele Patienten über Leben und Tod entscheiden oder über Mobilität und Handicap, ist der Markt höchst intransparent. So kann das Gesundheitsministerium nicht sagen, wie viele Produkte in Deutschland überhaupt auf dem Markt sind. Die oft lebenswichtigen Geräte werden in Europa nicht von Behörden, sondern von privaten Unternehmen kontrolliert und zertifiziert – in Deutschland etwa vom TÜV oder der Dekra. Sie prüfen im Auftrag der Hersteller deren Produkte. Scheitern die Hersteller bei der einen Prüfstelle, können sie es bei einer anderen wieder versuchen. Im vergangenen Jahr hat die EU zwar neue Regeln für die Zulassung und Überwachung verabschiedet, die ab Mai 2020 in vollem Umfang gelten sollen. Die Recherchen zeigen jedoch, dass grundlegende Probleme bestehen bleiben werden.