Verteidigung der Demokratie
Ja, US-Präsident Biden hat recht: Europa und die Nato sind geeint wie lange nicht. Man kann fest davon ausgehen, dass Feldherr Putin nicht damit gerechnet hat, dass eine so einheitliche Front gegen ihn zustande kommt.
Ja, US-Präsident Biden hat recht: Europa und die Nato sind geeint wie lange nicht. Man kann fest davon ausgehen, dass Feldherr Putin nicht damit gerechnet hat, dass eine so einheitliche Front gegen ihn zustande kommt.
Ebenso wenig wird er erwartet haben, dass der von ihm in seiner Widerstandskraft so gering geschätzte Westen in der Lage ist, in Windeseile auch bisher festgefügte Positionen zu verlassen. Daher rührt sicher auch ein Teil der Nervosität, die sich in den vergangenen Tagen in Moskau erkennen ließ. Die zuletzt so häufig zerstrittenen Europäer haben in den ersten Tagen des Krieges gegen die Ukraine die gemeinsamen Werte wiederentdeckt: Freiheit, Demokratie, all das Grundsätzliche, was sie jenseits so mancher Differenzen miteinander verbindet und was sie in den Zeiten des Krieges gemeinsam verteidigen wollen und müssen.
Die Bedrohung von außen hat zunächst also zusammengeschweißt. Doch hält die Verbundenheit auch? So ist es geradezu begeisternd, in welcher Klarheit sich Staaten der EU bereit erklären, Flüchtlinge aus der Ukraine aufzunehmen. Doch ist auch allen bewusst, welche Welle hier auf Europa zukommen kann? Die Ukraine hat mehr als 40 Millionen Einwohner, also rund halb so viele wie Deutschland. Die Hilfe wird viel Kraft erfordern - und damit noch so manche Prüfung bereithalten. Gleiches gilt für die Aufrüstung in der EU. Wie viel sind die EU-Mitglieder wirklich bereit, auf Dauer dafür zu leisten? Deutschland geht bewusst an dieser Stelle voran - wohl wissend, dass das seiner Rolle in Europa entspricht. Andere werden aber folgen müssen. Weil es in der Zukunft auf keinen Fall genügen wird, sich auf Amerika zu verlassen. Und gerade weil Putin Europa bisher mit Blick auf seine mangelnden militärischen Fähigkeiten nicht ernst genommen hat.
Vor der EU liegt aller Wahrscheinlichkeit nach, man weiß es ja schon, eine lange Zeit der harten Auseinandersetzung mit Russland. Gerade diese Zeit der Bedrohung muss man jenseits der unmittelbaren Hilfe für die Ukrainer dazu nutzen, sich über all das zu verständigen, was Europa sein will. Was seine grundlegenden Werte sind, wofür der Kontinent zusammensteht und sich in der Welt einsetzt. Die Auseinandersetzungen um die Unabhängigkeit der polnischen Justiz oder um die Gängelung der Medien und der Opposition in Ungarn sind ja nicht mit einem Schlag beendet. Und es ist gerade eine Meldung aus Budapest, die aufhorchen lässt: Dass über das Gebiet Ungarns keine Waffenlieferungen an die Ukraine gehen sollen - was der Regierungschef und bisherige Putin-Versteher Orban mit der Sorge um die ungarische Minderheit in der Westukraine begründet.
Es ist noch lange nicht entschieden, dass überall in Europa die gleichen Lehren aus dem Krieg gezogen werden. Werden die Demokraten gestärkt? Oder doch hier und da diejenigen, die ein einfacheres Weltbild bedienen? Das ist alles andere als trivial. Schon weil sich Europa in der Vergangenheit vom Antidemokraten Putin hat einlullen lassen. Was in Russland alles vor sich ging: Die brutale Unterdrückung der Opposition, die Ausschaltung von Menschenrechtlern und westlichen Organisationen, die Gleichschaltung der Medien, Cyberattacken gegen den Westen, Auftragsmorde der Geheimdienste - Europa hat all das gesehen, aber offensichtlich nicht erkennen wollen. In den vergangenen 10 bis 15 Jahren hätte Europa sich gegen die Bedrohung mental und militärisch rüsten können. Das jetzt aufzuholen, wird eine Mammutaufgabe, die weit über alle bisherigen Bekenntnisse hinausgeht.