Paradigmenwechsel
Mit ihrem 69 Seiten langen Vorschlag für ein europaweites Sorgfaltspflichtengesetz hat die EU-Kommission wahrlich einen Nerv getroffen. Aus allen Ecken von Wirtschaft, Finanzbranche und Zivilgesellschaft hagelte es Reaktionen.
Mit ihrem 69 Seiten langen Vorschlag für ein europaweites Sorgfaltspflichtengesetz hat die EU-Kommission wahrlich einen Nerv getroffen. Aus allen Ecken von Wirtschaft, Finanzbranche und Zivilgesellschaft hagelte es Reaktionen.
Von vernichtender Kritik in mittelstandsnahen Kreisen bis zum Vorwurf, die EU-Kommission habe zu viele Schlupflöcher gelassen, war alles dabei. Leisere Töne schlugen Banken- und Versicherungsverbände an. Dabei hat es der Vorschlag der EU-Kommission auch mit Blick auf den Finanzsektor in sich.
Banken und Versicherer, Pensionsfonds und Vermögensverwalter - alle finden im Gesetzesvorschlag aus Brüssel Erwähnung. Finanzinstitute müssen künftig nicht nur noch genauer prüfen, mit wem sie Verträge schließen. Sie müssen auch nachverfolgen, was die Vertragspartner mit dem von ihnen ausgereichten Geld anstellen, und zwar in sämtlichen Winkeln ihrer globalen Wertschöpfungsketten. Klingt kompliziert? Ist es auch. Deshalb ist es sinnvoll, dass die Verbände der Banken- und Versicherungsbranche die einschlägigen Passagen des geplanten EU-Sorgfaltspflichtengesetzes penibel untersuchen, bevor sie nach dem Vorbild vieler Wirtschaftsverbände aus vollem Halse loskrakeelen.
Ihre Sorgen, dass es die EU-Kommission zu weit getrieben hat mit ihrem hehren Vorhaben für einen besseren Schutz der Menschenrechte und die Rettung des Klimas, sind nicht unbegründet. Vor allem die Sorgen der Mittelständler muss die Behörde ernst nehmen bei den Feinarbeiten an der Richtlinie. Sonst drohen die stolzen Maschinenbauer, Automobilzulieferer und andere Hidden Champions zerrieben zu werden zwischen hohen Kosten für Gesetzestreue und anderen Konzernen, die bei der Wahl günstiger Geschäftspartner ihre Marktmacht ausspielen könnten.
Die eigentliche Brisanz des EU-Lieferkettengesetzes steckt aber woanders: Unternehmen sollen künftig sicherstellen, dass Geschäftsmodell und Strategie in Einklang mit den Pariser Klimazielen sind. Das steht zwar in direkter Tradition verwandter Rechtsakte wie der nicht-finanziellen Berichterstattung und der höchst kontroversen EU-Taxonomie. Aber es ist das erste Mal, dass die europäische Politik Unternehmen direkt zum Kampf gegen den Klimawandel einspannt. Das kann man begrüßen oder kritisieren, Fakt ist: Es handelt sich um einen Paradigmenwechsel. Dafür will die EU-Kommission auch Geschäftsführer direkt in die Pflicht nehmen. Die fürchten, künftig persönlich in Haftung genommen zu werden. Auch das dürfte die Versicherer noch beschäftigen.