Rechtsextremismus: Ernste Bedrohung für die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung der neuen Länder
Die Beauftragte der Bundesregierung für die neuen Bundesländer Iris Gleicke hat heute in Berlin den Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit 2016 vorgestellt. Darin werden die aktuellen Herausforderungen, denen sich Ostdeutschland gegenübersieht, und der Stand zur weiteren Angleichung der Lebensverhältnisse zwischen Ost und West thematisiert.
Die Beauftragte der Bundesregierung für die neuen Bundesländer Iris Gleicke hat heute in Berlin den Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit 2016 vorgestellt. Darin werden die aktuellen Herausforderungen, denen sich Ostdeutschland gegenübersieht, und der Stand zur weiteren Angleichung der Lebensverhältnisse zwischen Ost und West thematisiert.
Schwerpunkte des Berichts sind der Rechtsextremismus, die wirtschaftliche Entwicklung Ostdeutschlands sowie die Ost-West-Rentenangleichung.
Iris Gleicke: "Der Rechtsextremismus in all seinen Spielarten stellt eine sehr ernste Bedrohung für die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung der neuen Länder dar. Ein entschlossenes Handeln der Bundesregierung, der Länder, der Kommunen und der Zivilgesellschaft ist notwendig, um den gesellschaftlichen Frieden in Ostdeutschland zu sichern. Die große Mehrheit der Ostdeutschen ist nicht fremdenfeindlich oder rechtsextrem. Aber ich würde mir schon wünschen, dass diese Mehrheit noch lauter und deutlicher Stellung bezieht. Wir Ostdeutschen haben es selbst in der Hand, ob wir unsere Gesellschaft, unsere Städte und unsere Dörfer beschützen oder ob wir sie dem braunen Spuk überlassen. Die Gesellschaft darf nicht wegschauen, wenn Menschen angegriffen oder Flüchtlingsunterkünfte angezündet werden. Es steht für Ostdeutschland viel auf dem Spiel."
Zur wirtschaftlichen Entwicklung Ostdeutschlands erklärt Iris Gleicke: "Nach wie vor liegt die Wirtschaftskraft Ostdeutschlands deutlich hinter der Westdeutschlands. Im Jahr 2015 lag das Bruttoinlandsprodukt je Einwohner in Ostdeutschland 27, 5 Prozent hinter den Werten Westdeutschlands. Viel schlimmer ist jedoch, dass angesichts der neuesten Zahlen zur wirtschaftlichen Entwicklung nichts darauf hindeutet, dass sich diese Lücke mittel- oder auch nur langfristig schließen könnte. Der Aufholprozess, verläuft schon seit einigen Jahren äußerst verhalten. Wir brauchen in Ostdeutschland ein deutlich stärkeres Wachstum, um wirtschaftlich zu den westdeutschen Ländern aufzuschließen. Die aktuellen Zahlen zum realen Wachstum geben Anlass zur Sorge. Das reale Wachstum lag 2015 in den ostdeutschen Flächenländern mit 1,5 Prozent unter dem der westdeutschen Länder mit 1,7 Prozent. Der Bevölkerungsrückgang führt dazu, dass Ostdeutschland bei der Entwicklung seiner realen Wirtschaftskraft weiter an Boden verliert."
Als wichtiges Hemmnis für ein stärkeres wirtschaftliches Wachstum identifiziert der Bericht die Kleinteiligkeit der Wirtschaftsstruktur in Ostdeutschland. Das Fehlen von großen Unternehmen und Konzernzentralen und einer daraus resultierenden vergleichsweise geringen Innovationskraft sind wesentliche Ursachen für den stockenden Aufholprozess. "Eine weitere Stärkung der Wirtschaftskraft, insbesondere durch Unterstützung der kleinen und mittleren Unternehmen, ist unerlässlich", so Gleicke.
Gleicke erklärte weiter: "Sicher haben wir bereits viel erreicht. Die ostdeutsche Wirtschaft liegt heute fast auf EU-Durchschnittsniveau; das ist eine großartige Leistung. Aber wir dürfen uns nicht damit abfinden, dass die wirtschaftlich stärksten Regionen Ostdeutschlands gerade einmal zu den schwachen westdeutschen Regionen aufschließen."
Außerdem müsse Ostdeutschland die großen Herausforderungen und strukturellen Veränderungen meistern, denen Deutschland insgesamt gegenübersteht. Hierzu verweist der Bericht unter anderem auf die Digitalisierung und die Energiewende, die zugleich auch große Chancen bieten.
Der Arbeitsmarkt in Ostdeutschland hat sich im Berichtszeitraum weiter positiv entwickelt. Die Arbeitslosenquote ist erneut gesunken. Mit 9,2 Prozent liegt sie in Ostdeutschland aber noch deutlich höher als in Westdeutschland (5,7 Prozent). Die tariflichen Entgelte in Ostdeutschland betragen heute im Durchschnitt bereits 97 Prozent des westdeutschen Niveaus. Die Effektivlöhne liegen jedoch bei nur 81 Prozent des Westniveaus. Der Anteil der Beschäftigten in Betrieben mit Tarifbindung liegt mit 49 Prozent unterhalb des westdeutschen Niveaus (59 Prozent). Auch die meisten Branchenmindestlöhne sind zwischen Ost und West noch unterschiedlich hoch.
Gleicke zeigt sich zufrieden, dass die Einführung des allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns zum 1. Januar 2015 in Höhe von 8,50 Euro insbesondere in Ostdeutschland zu einer Anhebung der Löhne geführt hat: 1,1 Millionen Beschäftigungsverhältnisse waren in Ostdeutschland von der Einführung des Mindestlohns positiv betroffen. Das sind 22 Prozent der Beschäftigungsverhältnisse - im Gegensatz zu 8,9 Prozent in Westdeutschland. Dadurch verringerte sich der Lohnunterschied zwischen West- und Ostdeutschland erstmals seit vielen Jahren deutlich.
Auf Grund der geringeren Wirtschaftskraft und der nach wie vor höheren Arbeitslosigkeit liegt die originäre Steuerkraft der ostdeutschen Flächenländer und Gemeinden jedoch nach wie vor deutlich unter dem Niveau der finanzschwachen westdeutschen Länder und Gemeinden. Die ostdeutschen Länder sind darum in besonderer Weise auf den Finanzausgleich und auch auf den Solidarpakt II angewiesen. Für die Zeit ab 2020 sind die Bund-Länder-Finanzbeziehungen neu zu ordnen. Ziel ist, dass jede Ebene - Bund, Länder und Kommunen - ihren Aufgaben nachkommen kann. Die besondere Situation Ostdeutschlands muss dabei berücksichtigt werden, um die Handlungsfähigkeit der Länder und Gemeinden in der Fläche zu sichern.
Der Bericht verweist auch auf die fast 26 Jahre nach der Wiedervereinigung noch immer unterschiedlichen Rentenwerte in Ost und West. Hier soll entsprechend der Koalitionsvereinbarung mit Ende des Solidarpaktes II Ende 2019 in einem letzten Schritt eine vollständige Angleichung erfolgen. Dazu Gleicke: "Die starke Rentenerhöhung zum 1. Juli 2016 in den neuen Bundesländern hat die Angleichung einen großen Schritt vorangebracht. Aber eine Angleichung der Rentenwerte bis 2020 ohne gesetzgeberischen Schritt ist völlig illusorisch. Die im Koalitionsvertrag verankerte Rentenangleichung muss fahrplanmäßig erfolgen. Das ist von entscheidender Bedeutung für die Vollendung der sozialen Einheit."
Angesichts der demografischen Entwicklung in Ostdeutschland verweist der Bericht auf die Zuwanderung als Chance, den Bevölkerungsrückgang, die zunehmende Alterung und den sich abzeichnenden Fachkräftemangel zumindest zu mildern. "Der Integration von Flüchtlingen in die Gesellschaft und in den Arbeitsmarkt, auch durch Qualifikation und Weiterbildung, kommt hierbei eine wichtige Rolle zu."
Weitere Informationen der Beauftragten der Bundesregierung für die neuen Bundesländer finden Sie unter www.beauftragte-neue-laender.de.