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Wenn Soziales zur Show wird

Seit Einführung der ersten Gesetze zur Reform des Arbeitsmarktes in 2003 sorgt das Thema HARTZ IV in Deutschland immer wieder für hitzige Diskussionen. Obwohl bereits 2002 erste Vorschläge zur effizienteren Arbeitsmarktpolitik durch eine hierfür eigens eingesetzte Kommission unter Peter Hartz vorgelegt wurden, konnte das damalige Ziel der Bundesregierung, die Arbeitslosenzahlen innerhalb der ersten vier Jahre nach Einführung der Hartz-Reformen schrittweise zu halbieren, bis heute nicht erreicht werden.

Geschrieben von Maike Cuttler am . Veröffentlicht in Themen.

Seit Einführung der ersten Gesetze zur Reform des Arbeitsmarktes in 2003 sorgt das Thema HARTZ IV in Deutschland immer wieder für hitzige Diskussionen. Obwohl bereits 2002 erste Vorschläge zur effizienteren Arbeitsmarktpolitik durch eine hierfür eigens eingesetzte Kommission unter Peter Hartz vorgelegt wurden, konnte das damalige Ziel der Bundesregierung, die Arbeitslosenzahlen innerhalb der ersten vier Jahre nach Einführung der Hartz-Reformen schrittweise zu halbieren, bis heute nicht erreicht werden.

Empfänger von Arbeitslosen- und Sozialgeld nach SGB II berichten von unhaltbaren Zuständen in den Jobcentern. Alltägliche Auseinandersetzungen zwischen Sachbearbeitern und Leistungsempfängern frustrieren beide Seiten gleichermaßen.

Auch private Fernsehanstalten haben die Explosivität von HARTZ IV erkannt und bedienen sich gerne der Thematik. In speziell entworfenen Realityshows kann der Zuschauer vom eigenen Sofa aus so genannten Sozialexperten bei ihrer Arbeit mit Leitungsempfängern über die Schulter sehen. Eine dieser selbsternannten Experten ist ohne Zweifel Helena Fürst. Mit der Doku-Serie Gnadenlos gerecht - Sozialfander ermitteln betrat Frau Fürst als Sozialkontrolleurin der Stadt Offenbach 2008 zum ersten Mal deutschen Fernsehboden und jagte – begleitet von einem Kollegen und einem Kamerateam des TV-Senders "SAT 1" – vermeintliche Leistungsbetrüger in Wildwestmanier durch Nacht und Nebel. Der Zuschauer war live dabei, wenn Frau Fürst mit versteinerter Miene und meist rechtswidrigen Methoden schadenfroh zu belegen versuchte, dass Antragsteller zu Unrecht Leistungen beantragt hätten. (http://forum.fernsehkritik.tv/viewtopic.php?f=12&t=3907).

Nach heftigen Protesten seitens der Sozialverbände wurde die Sendung nach nur vier Folgen abgesetzt.

 

2010 durfte man Helena Fürst dann bei "RTL" in der Wochensendung Das HARTZ IV-Boot (Video siehe unten) bewundern. Hier hatte sie zur Aufgabe erklärt, demotivierte Leistungsempfänger zu coachen und wieder "auf Kurs" zu bringen, um deren Vermittlungschancen auf dem ersten Arbeitsmarkt zu erhöhen. Sie ließ Möbelstücke nach Zeitvorgabe aufbauen und entlarvte noch während der Dreharbeiten zwei Hypochonder, die sich vor dem ungewohnt regelmäßigen Tagesablauf zu drücken versuchten.

Sie wolle nur helfen, betonte Frau Fürst hier mehrfach. Auch diese Sendung wurde wieder eingestampft.

Dass aktuelle Fernsehprojekt von Helena Fürst tritt in zweiter Auflage unter dem bedeutungsschweren Titel Helena Fürst, Die Anwältin der Armen ins "RTL"-Vorabendprogramm.

Seit Juli diesen Jahres konzentriert sich Frau Fürst wieder ausschließlich auf die glorreiche Rettung von HARTZ IV-Empfängern in Not. Erstaunlich, wenn man bedenkt, dass sie vier Jahre zuvor noch eine ganz andere Motivation an den Tag gelegt und zur Jagd auf vermeintliche Sozialbetrüger geblasen hat Frau Fürst deckt nun gnadenlos Berechnungsfehler in Leistungsbescheiden auf, maßregelt ihre ehemaligen Kollegen mit erhobener Augenbraue und tröstet wortreich alleinerziehende Mütter. Dem Wachdienst eines Jobcenters droht sie während eines Einsatzes aufgebracht mit den Worten "Fassen Sie mich noch einmal an, dann schallerts hier aber gleich!" (Die Folge vom 29.07.2012 wurde von RTL inzwischen von der Website genommen). Es mag in der Interpretation des Einzelnen liegen, was genau Frau Fürst hier zum Ausdruck bringen wollte.

Die Wandelbarkeit der Helena Fürst scheint grenzenlos, ihre Fernsehkarriere erstaunlich. Sie selbst bezeichnet sich inzwischen als TV-Moderatorin, Sozialexpertin und TV-Coach und will nach eigenen Angaben nie wieder als Sozialermittlerin tätig werden.

Sie ist auch weiterhin unermüdlich auf der Suche nach unbedarften HARTZ IV-Empfängern, die sie werbewirksam vor die laufende Kamera zerren kann.

Es bleibt abzuwarten, wie lange es braucht, bis auch das Fernsehformat der "Anwältin der Armen" aus den Programmzeitschriften verschwunden sein wird. Sozialverbände und Beratungsstellen raten zumindest ausdrücklich davon ab, sich von "RTL" und Frau Fürst akquirieren zu lassen.

Wer Fragen zum Antragsverfahren hat oder Hilfe bei Unstimmigkeiten mit dem Jobcenter benötigt, findet fachlich versierte Ansprechpartner in den Büros der Sozialberatungsstellen. Ein Adressverzeichnis dieser Stellen kann unter anderem bei www.tacheles-sozialhilfe.de aufgerufen werden.