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WM 2006

Deutschland ist in vielerlei Hinsicht ein sehr spezielles Land. Manche von uns glauben, dass sie die Welt retten könnten, wenn sie auf Flugreisen und Autofahrten verzichten. Andere sind überzeugt, dass der Mensch ein böses Wesen sei, das nur mit staatlichen Verboten unter Kontrolle gehalten werden kann. Auf vereinzelte Zeitgenossen mag das sogar zutreffen.

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Public Viewing beim Eröffnungsspiel der WM 2006 in Berlin vor dem Brandenburger Tor
Public Viewing beim Eröffnungsspiel der WM 2006 in Berlin vor dem Brandenburger Tor
Foto: KleinerWeltenbummler / CC BY-SA 3.0 (via Wikimedia Commons)

Deutschland ist in vielerlei Hinsicht ein sehr spezielles Land. Manche von uns glauben, dass sie die Welt retten könnten, wenn sie auf Flugreisen und Autofahrten verzichten. Andere sind überzeugt, dass der Mensch ein böses Wesen sei, das nur mit staatlichen Verboten unter Kontrolle gehalten werden kann. Auf vereinzelte Zeitgenossen mag das sogar zutreffen.

Deutsche sind ziemlich gut darin, sich selbst zu quälen oder sich selbst zu schaden. Warum sonst kommen die Sieger der vergangenen fünf Ironman-Triathlons auf Hawaii aus Deutschland? Warum sonst lassen nur wir zu, dass unsere Schlüsselindustrie vor lauter Klimahysterie sturmreif geschossen wird? Nun also auch noch das Sommermärchen. Die Fußball-WM 2006 soll zu einer korrupten Veranstaltung abgeurteilt werden, die - nach moralischen Gesichtspunkten - nie in Deutschland hätte stattfinden dürfen, weil die Macher mutmaßlich irgendeinen Schmu gemacht haben.

Wie naiv muss man sein? Wie kann man ernsthaft davon ausgehen, dass ein milliardenschweres Weltereignis wie die Fußball-WM einfach so an das Land vergeben wird, das die beste Bewerbung abgibt und alle Voraussetzungen erfüllt? Deutschland hat das Turnier nicht nur bekommen, weil die Stadien modern sind und die Organisation klappt. Der Deutsche Fußballbund (DFB) hat auf allen Kontinenten - ergo: bei allen Kontinentalverbänden - intensive Lobbyarbeit betrieben, um die WM 2006 nach Deutschland zu holen. Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) war sich, noch frisch im Amt, nicht zu schade, mit Franz Beckenbauer und Wolfgang Niersbach um die Welt zu fliegen und sich 1999 in Berlin mit dem Emir von Katar zu treffen. Damit Fifa-Boss Joseph Blatter am 6. Juli 2000 sagen konnte: »The winner is Deutschland.«

Natürlich hatte Schröder ein beachtliches Eigeninteresse: Wäre seine zweite Amtszeit normal verlaufen, hätte er die WM im eigenen Land als Kanzler erlebt - und wäre nach dem Sommermärchen bei einer regulären Bundestagswahl Ende September vermutlich als solcher wiedergewählt worden. Aber es sollte anders kommen. Vor 13 Jahren hat die WM 2006 ein anderes, freundlicheres Land aus Deutschland gemacht, nach innen wie nach außen. Die Anklage gegen die vier ehemaligen Funktionäre steht nicht ohne Grund im Verdacht, diese für viele Menschen schöne Erinnerung nachträglich zu besudeln. Und wie es sich in Deutschland gehört: wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung. Zu befürchten ist, ähnlich wie bei den Ermittlungen gegen den ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff, vor allem eines: ein Schauprozess, an dessen Ende nichts bleibt. Bis auf die beschädigten Personen.



Quelle: ots/Berliner Morgenpost