Naturkatastrophen Bilanz: Acht Millionen Tote, sieben Billionen Schaden
Mehr als sieben Billionen US-Dollar wirtschaftlichen Schaden und acht Millionen Tote durch Naturkatastrophen seit Beginn des 20. Jahrhunderts: Diese Bilanz hat der Geophysiker James Daniell vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) erstellt. Die von ihm entwickelte Datenbank CATDAT greift auf sozioökonomische Indikatoren zurück und bildet die Grundlage für ein Schadensmodell, das Regierungen und Hilfsorganisationen beim Abschätzen des Ausmaßes einer Katastrophe und dem Katastrophenmanagement unterstützt. Seine Ergebnisse stellt Daniell heute bei der Jahresversammlung der European Geosciences Union in Wien vor.
Mehr als sieben Billionen US-Dollar wirtschaftlichen Schaden und acht Millionen Tote durch Naturkatastrophen seit Beginn des 20. Jahrhunderts: Diese Bilanz hat der Geophysiker James Daniell vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) erstellt. Die von ihm entwickelte Datenbank CATDAT greift auf sozioökonomische Indikatoren zurück und bildet die Grundlage für ein Schadensmodell, das Regierungen und Hilfsorganisationen beim Abschätzen des Ausmaßes einer Katastrophe und dem Katastrophenmanagement unterstützt. Seine Ergebnisse stellt Daniell heute bei der Jahresversammlung der European Geosciences Union in Wien vor.
Für die CATDAT hat James Daniell bislang mehr als 35.000 Katastrophenereignisse
weltweit ausgewertet. Demnach gehen ein Drittel
des wirtschaftlichen Gesamtschadens zwischen 1900 und 2015
auf das Konto von Flutkatastrophen. Erdbeben verursachen 26 Prozent
der Schäden, Stürme 19 Prozent, Vulkanausbrüche machen
lediglich ein Prozent aus. „In den vergangenen hundert Jahren haben
die wirtschaftlichen Schäden durch Naturkatastrophen pro Jahr
– absolut gesehen – zugenommen“, sagt Daniell, der am KIT sowohl
am Geophysikalischen Institut als auch am Center for Disaster Management
and Risk Reduction Technology CEDIM forscht und John
Monash Scholar ist. Während auf den gesamten Zeitraum gesehen
Flutkatastrophen die größten Verursacher wirtschaftlicher Schäden
sind, geht in der jüngeren Vergangenheit, seit 1960, mit 30 Prozent
der größte Anteil auf Stürme (und Sturmfluten) zurück.
In Relation zum jeweiligen Wert von Infrastruktur und Gebäuden in
einem Land (Bruttoanlagevermögen) nehmen die Schäden allerdings
ab. „Grundsätzlich sind weniger entwickelte Länder durch
Katastrophen verwundbarer, das heißt – bezogen auf Bevölkerungszahl
und Vermögen – sind mehr Tote und ein höherer wirtschaftlicher
Schaden zu befürchten als in besser entwickelten Ländern“,
so der Geophysiker und Bauingenieur. Ein häufiger Grund
sei, dass entsprechende Baurichtlinien nicht umgesetzt würden.
Zudem bildeten, wie etwa in Bangladesh, die Küstenregionen die
wirtschaftlichen Zentren und sind entsprechend stark besiedelt.
Für seine Analysen setzt er auf sozioökonomische Indikatoren wie
Bevölkerungsentwicklung, Verbraucherpreisindices, Bruttoinlandsprodukte,
Kapitalstock sowie Daten zu Nahrungsmittelsicherheit und
Bausubstanz in den jeweils betroffenen Ländern. Um die Entwicklung
der sozioökonomischen Verwundbarkeit (Vulnerabilität) im Lauf
der Zeit untersuchen zu können, hat er die Schäden auf das Jahr
2015 normalisiert. „Hier zeigt sich der klare Trend, dass viele Länder
etwa Gebäude besser gegen Naturkatastrophen schützen, so verringern
sie ihr Risiko hoher Schäden“, sagt Daniell. Auch der verbesserte
Hochwasserschutz wirke sich deutlich aus, nachdem es
zwischen 1900 und 1960 hinweg sehr hohe Schäden vor allem
durch Flutkatastrophen gab. Ein deutlicher Rückgang wirtschaftlicher
Schäden ließe sich etwa seit 1950 in China und Japan beobachten.
Abhängig davon, ob man die Schäden über den Verbraucherpreisindex
oder den Baupreisindex auf das Niveau von 2015 anpasst,
ergibt sich seit Beginn des 20. Jahrhunderts eine weltweite Naturkatastrophen-
Schadensbilanz zwischen 6,5 und 14 Billionen USDollar.
Die von Daniell ermittelten sieben Billionen basieren auf der
Anpassung über einen Preisindex des Bruttoinlandsprodukts (BIPDeflator).
„Oft ist es unmöglich, eine genauere Zahl für ein Ereignis
zu erhalten, da Schäden sehr schwierig zu schätzen sind, auch
Todeszahlen werden häufig zunächst häufig überschätzt, zum Beispiel
beim Erdbeben in Haiti 2010, oder unterschätzt, wie beim Beben
in Usbekistan 1966“, sagt er und nennt deshalb in seiner Forschung
Ober- und Untergrenzen.
Im Hinblick auf den größten wirtschaftlichen Schaden belegt das
Jahr 2011 mit schweren Erdbeben in Japan und Neuseeland den
Spitzenplatz: „Mit 335 Milliarden Dollar Direktschäden ist das
Tohoku-Erdbeben mit Tsunami und Nuklearunfall am 11. März 2011
bislang die teuerste Naturkatastrophe überhaupt“, so James Daniell.
Bei dem Beben mit nachfolgendem Tsunami starben ca. 18.500
Menschen, 450.000 wurden obdachlos.
Tote durch Naturkatastrophen
Mehr als acht Millionen Tote durch Erdbeben, Flut, Sturm, Vulkanausbruch
und Buschfeuer seit 1900 sind in der Datenbank CATDAT
verzeichnet (ohne die Toten durch Langzeitfolgen, Trockenheit und
Hungersnot).
Die Zahl der Toten durch Erdbeben zwischen 1900 und 2015 liegt
nach Daniells Daten bei 2,32 Millionen (Schwankungsbereich: 2,18
bis 2,63 Millionen). Die meisten von ihnen – 59 Prozent – starben
durch zerstörte Backsteingebäude, 28 Prozent durch sekundäre
Effekte wie Tsunamis und Erdrutsche. Durch Vulkanausbrüche starben
im gleichen Zeitraum 98.000 Menschen (Schwankungsbereich:
83.000 bis 107.000). Verheerende Vulkanausbrüche vor 1900, wie
der des Tambora 1815, können jedoch zu sehr hohen Todeszahlen
und sich beispielsweise mit sinkenden Temperatungen weltweit
auswirken, etwa auf die Nahrungsmittelsicherheit. „Die absolute
Zahl der jährlichen Toten durch Naturkatastrophen ist über die Jahre
hinweg leicht gesunken – in Relation zum Bevölkerungswachstum
sogar deutlich. Derzeit liegt sie bei etwa 50.000“, erläutert Daniell.
„Auf den gesamten Zeitraum gesehen, also zwischen 1900 und
2015, starb die Hälfte von ihnen durch Flutkatastrophen. Dank besserer
Vorbereitung und Analysen nimmt dieser Anteil aber ab. Seit
1960 haben Erdbeben mit 40 Prozent den größten Anteil.“ Verglichen
mit der weltweiten Sterberate sei die Rate der Todesopfer
durch Naturkatastrophen relativ konstant geblieben.
Mit jeweils mehr als 100.000 Toten gehören der Tsunami 2004 im
Indischen Ozean (ca. 230.000) und der Zyklon Nargis 2008 (ca.
140.000) in Myanmar zu den schwersten Katastrophen der jüngeren
Vergangenheit. Das Ereignis mit den bislang meisten Todesopfern
ist das Hochwasser 1931 in China mit 2,5 Millionen Toten.
Datenbank CATDAT
Seit 2003 baut James Daniell die Datenbank CATDAT auf, die Informationen
aus Online-Archiven, Bücher, Berichten von Institutionen,
Publikationen sowie aus weiteren Datensammlungen weltweit
umfasst. In seiner Dissertation entwickelte er ein Schätzungsmodell
für Erdbebenschäden weltweit – anhand empirischer Daten von
mehr als 8000 Erdbeben seit 1900. Auf dieser Grundlage schätzte
er Todesopfer und wirtschaftliche Schäden. Anfang 2016 erhielt
Daniell für diese Arbeit eine von drei Doktorandenpreisen des KIT.
Sein Modell hat er inzwischen kontinuierlich auf weitere Katastrophenarten
auf insgesamt mehr als 35.000 Ereignisse erweitert.