Diesel-Skandal: Zeugen bestreiten VW-Darstellung
Der ehemalige VW-Chef Martin Winterkorn soll bereits Monate vor dem Bekanntwerden des Dieselskandals detailliert über den Abgas-Betrug informiert gewesen sein. Zudem habe er bereits 2007 von Problemen bei der Abgasreinigung für den US-Markt erfahren. Das behaupten Beschuldigte in ihren Aussagen bei der Staatsanwaltschaft Braunschweig, die NDR, WDR und Süddeutsche Zeitung einsehen konnten.
Der ehemalige VW-Chef Martin Winterkorn soll bereits Monate vor dem Bekanntwerden des Dieselskandals detailliert über den Abgas-Betrug informiert gewesen sein. Zudem habe er bereits 2007 von Problemen bei der Abgasreinigung für den US-Markt erfahren. Das behaupten Beschuldigte in ihren Aussagen bei der Staatsanwaltschaft Braunschweig, die NDR, WDR und Süddeutsche Zeitung einsehen konnten.
Unter anderem belastet der ehemalige Chef der VW-Motorenentwicklung Winterkorn schwer. Der Manager berichtet von einem Treffen mehrerer Ingenieure mit dem Ex-VW-Vorstandsvorsitzenden im Mai 2015. Dabei sei Winterkorn über die Umschaltlogik in der Abgas-Software der Dieselfahrzeuge und damit über die Abgas-Manipulation informiert worden.
VW dementiert, dass es einen solchen Termin gegeben habe. Dies behaupte nur der ehemalige Leiter der Motorenentwicklung. Tatsächlich findet sich in den Aussagen anderer, die laut dem Abteilungsleiter bei dem Treffen dabei gewesen sein sollen, kein Hinweis darauf. Gleichwohl schildert der Manager das Gespräch detailreich.
Winterkorn habe ihn und Kollegen, die ihn begleiteten, mit den Worten begrüßt: Was habt „ihr Antriebsfritzen“ jetzt wieder angestellt? Winterkorn habe losgepoltert, was die Motorenentwickler da wieder für einen Mist gebaut hätten, sagte der ehemalige Abteilungsleiter aus. Im Vergleich zu anderen Gelegenheiten sei das aber ein relativ ruhiger Gefühlsausbruch gewesen. Inhaltlich sei von 600.000 betroffenen Fahrzeugen in den USA und Kanada die Rede gewesen.
Winterkorn habe sich alles angehört, sei aber ruhig geblieben. Wenn er das zum ersten Mal gehört hätte, „wäre er ausgerastet“, so der Manager weiter. Später sei er rausgeschickt worden. Winterkorn habe sich dann mit anderen „hinter den Kulissen“ besprochen.
Die 160 Seiten umfassende Aussage des Managers ist Teil der Ermittlungsakten, die die Braunschweiger Staatsanwaltschaft den Anwälten der rund 40 Beschuldigten im Diesel-Betrugsverfahren Mitte Juli zur Einsicht übermittelt hat. Der Aktenbestand umfasst 81 Hauptaktenordner sowie zahlreiche Sonderbände, eine Datenmenge von mehr als sechs Gigabyte. Bis Oktober haben die Anwälte nun Gelegenheit, zu den Ermittlungen Stellung zu nehmen.
Bislang behauptet der VW-Konzern, Winterkorn habe erst im September 2015 vom Abgas-Betrug erfahren. Die Aussage des Motorenexperten könnte Volkswagen auch in der Auseinandersetzung mit Aktionären in Bedrängnis bringen. Zahlreiche Investmentfonds und Anleger haben VW auf Schadensersatz in Höhe von mehreren Milliarden Euro verklagt, weil sie von VW zu spät über die Abgasmanipulationen in den USA und die dort drohenden Folgen informiert worden seien. Dieser Prozess soll im September vor dem Oberlandesgericht Braunschweig beginnen.
Nach den Recherchen von NDR, WDR und SZ soll Winterkorn sogar schon Ende 2007 erste Hinweise darauf erhalten haben, dass die strengen US-Abgasgrenzwerte nicht mit sauberen Mitteln erreicht würden. Das geht aus der Aussage eines anderen VW-Managers hervor, er war zu einem früheren Zeitpunkt Chef der Motorenentwicklung. Wegen der Schwierigkeiten bei der Entwicklung der US-Dieselmotoren habe es am 8. November 2007 in Wolfsburg ein „High Level Meeting“ mit Winterkorn und weiteren VW-Vorständen gegeben, darunter der spätere VW-Chef Matthias Müller, sagte der Manager gegenüber der Staatsanwaltschaft Braunschweig. Er habe Winterkorn darauf hingewiesen, dass die Software der Dieselfahrzeuge „zu Diskussionen mit den Behörden“ führen könne.
Ihm sei selbst nicht bewusst gewesen, dass es sich bei der Software um eine illegale Abschalteinrichtung zur Manipulation der Abgaswerte handelte, allerdings habe er Winterkorn gewarnt: „Was wir tun, ist nicht ok.“ Daraufhin habe Winterkorn „die Schultern gezuckt“ und gesagt, man solle weitermachen.
Der VW-Konzern erklärte dazu, es liege in der Natur der Sache, dass bei derart komplexen Sachverhalten unterschiedliche Aussagen und Erinnerungen von Beteiligten vorlägen. Es verbiete sich daher, einzelne Aussagen zu kommentieren.
Belastet wird Winterkorn zudem durch eine Zeugenaussage des früheren VW-Chefs und Ex-Aufsichtsratsvorsitzenden Ferdinand Piëch. Er hat Ende 2016 bei der Staatsanwaltschaft erklärt, für ihn sei es "undenkbar“, dass der Diesel-Abgasbetrug nicht bis in die Führungsspitze hinein bekannt gewesen sei. „Das ging in die erste Garnitur“, so Piëch.
Die Freigabeprozeduren für neue Motoren seien bei VW immer „ziemlich eng“ gewesen. Daran seien Spitzenmanager, darunter der damalige Konzernchef Winterkorn, beteiligt gewesen. Die VW-Spitze sei mündlich – in Gesprächen - über die Abgasmanipulationen informiert worden, mutmaßt Piëch. Denn es sei „die Kultur bei VW“ gewesen, heikle Punkte „nicht schriftlich“ festzuhalten. Sein Eindruck sei, dass die Verantwortlichen im VW-Konzern versuchten, die ganze Verantwortung auf die „untere Ebene abzuschieben“, sagte Piëch.
Bei den Äußerungen Piëchs handele es sich um Mutmaßungen, zu denen man keine Stellung nehmen wolle, erklärte ein VW-Sprecher. Der Anwalt von Martin Winterkorn wollte zu den Vorwürfen wegen der laufenden Ermittlungen ebenfalls keine Stellung nehmen.