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Nicht nur dicke Fische

Es gilt als normal, dass man sich zu Beginn von Verhandlungen seine Maximalforderungen um die Ohren haut. Von daher müsste man sich also keine Sorgen darüber machen, wenn London und Brüssel vor den Gesprächen über die künftigen Handelsbeziehungen völlig unvereinbare Positionen beziehen. Wundern darf man sich aber schon darüber, dass man im Berlaymont-Gebäude offenbar der Meinung ist, Großbritannien binnen weniger Monate in die Knie zwingen zu können. Denn anders lässt sich die von dort ohne jede Not betriebene Verknüpfung eines Handelsabkommens mit dem Zugang der EU-Fischereiflotten zu britischen Gewässern über das Ende der Übergangsphase hinaus nicht erklären.

Geschrieben von Andreas Hippin am . Veröffentlicht in Wirtschaft.
Foto: Daron Herbert / CC0 (via Pixabay)

Es gilt als normal, dass man sich zu Beginn von Verhandlungen seine Maximalforderungen um die Ohren haut. Von daher müsste man sich also keine Sorgen darüber machen, wenn London und Brüssel vor den Gesprächen über die künftigen Handelsbeziehungen völlig unvereinbare Positionen beziehen. Wundern darf man sich aber schon darüber, dass man im Berlaymont-Gebäude offenbar der Meinung ist, Großbritannien binnen weniger Monate in die Knie zwingen zu können. Denn anders lässt sich die von dort ohne jede Not betriebene Verknüpfung eines Handelsabkommens mit dem Zugang der EU-Fischereiflotten zu britischen Gewässern über das Ende der Übergangsphase hinaus nicht erklären.

Der britische Premierminister Boris Johnson hat nicht vor, die Fischer zu verprellen, die mit großer Mehrheit für den Brexit votierten. Für die Volkswirtschaft spielt das Thema keine große Rolle, aber politisch kommt es einem Brandsatz gleich. Johnson sitzt zwar fester im Sattel als die allermeisten seiner europäischen Amtskollegen. Er kann aber nur verlieren, wenn er sich den Brüsseler Vorgaben beugt. Zumal das von der EU vorgeschlagene Handelsabkommen Großbritannien keine großen Vorteile bietet.

Es geht darin vor allem um den Warenverkehr, in dem die Partnerländer, insbesondere Deutschland, einen erheblichen Überschuss erwirtschaften. Zudem verlangt es eine weitgehende Angleichung an die regulatorischen Vorstellungen der EU. Johnson befände sich ruckzuck in einer Lose-lose-Situation, würde er nachgeben. Seine Wähler würden es ihm - trotz seines jungenhaften Charmes - nicht verzeihen.

Schon in den vergangenen Tagen wurde reichlich gegen die Briten ausgeteilt. Ausgerechnet der irische Premierminister Leo Varadkar ließ sie wissen, das Vereinigte Königreich sei nunmehr "ein kleines Land". Der ehemalige EU-Ratspräsident Donald Tusk heizte die Stimmung zudem mit der Wortmeldung auf, in Brüssel würde jeder enthusiastisch auf einen Wiederaufnahmeantrag eines unabhängigen Schottland reagieren. Aber Großbritannien ist nicht Jugoslawien. Es ist auch nicht Griechenland. Selbst ein Michel Barnier wird sich daran gewöhnen müssen, mit den Briten auf Augenhöhe zu verhandeln. Oder es gibt Ende des Jahres eben kein Abkommen zwischen Großbritannien und der EU, vielleicht aber eines mit den USA. Die Briten könnten sich dann über billigere Lebensmittel freuen. Für Brüssel wäre es das denkbar schlechteste Ergebnis.



Quelle: ots/Börsen-Zeitung