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Künstliche Intelligenz (KI)

Vom Hype zum Mythos

Lassen Sie mich gleich zu Beginn ein kleines Geheimnis lüften: Künstliche Intelligenz, wie sie uns in Hochglanzbroschüren und auf Tech-Konferenzen verkauft wird, gibt es nicht. Punkt. Sie können Ihr Smartphone noch so oft mit „Hey Siri“ anschreien, es wird trotzdem nie ein Gedicht von Rilke interpretieren oder Ihnen den Sinn des Lebens erklären – zumindest nicht aus eigenem Antrieb.

Geschrieben von G.A. Hokamp am . Veröffentlicht in Andersdenkend.
Die Frage ist nur noch, wann diese falsche Annahme uns in den nächsten künstlichen Intelligenz Winter fallen lässt, weil Menschen enttäuscht oder verängstigt sind.
Die Frage ist nur noch, wann diese falsche Annahme uns in den nächsten künstlichen Intelligenz Winter fallen lässt, weil Menschen enttäuscht oder verängstigt sind.
Foto: Aideal Hwa

Lassen Sie mich gleich zu Beginn ein kleines Geheimnis lüften: Künstliche Intelligenz, wie sie uns in Hochglanzbroschüren und auf Tech-Konferenzen verkauft wird, gibt es nicht. Punkt. Sie können Ihr Smartphone noch so oft mit „Hey Siri“ anschreien, es wird trotzdem nie ein Gedicht von Rilke interpretieren oder Ihnen den Sinn des Lebens erklären – zumindest nicht aus eigenem Antrieb.

Die große Illusion oder: Warum Ihr Kühlschrank nicht klüger ist als Ihr Toaster

Was wir heute als „künstliche Intelligenz“ bejubeln, ist in Wahrheit eine ziemlich clevere Datenverarbeitung. Maschinen, die blitzschnell Milliarden von Daten analysieren und daraus – Achtung, Trommelwirbel – vorprogrammierte Entscheidungen treffen. Das klingt beeindruckend, ist aber ungefähr so intelligent wie ein Taschenrechner, der besonders schnell die Quadratwurzel von 42 ausspuckt. Die Zauberworte unserer Zeit heißen Machine-Learning und Deep-Learning. Sie klingen nach Zukunft, nach Science-Fiction, nach Maschinen, die bald unsere Steuererklärung machen und uns den perfekten Partner suchen. In Wahrheit sind sie aber nur besonders fleißige Datenknechte. Dass Google, Netflix und Amazon wissen, was wir mögen, hat weniger mit Intelligenz zu tun als mit dem guten alten Prinzip: Wer viel weiß, kann viel raten.

Der Begriff „Künstliche Intelligenz“: Ein Marketingmärchen

Künstliche Intelligenz ist vermutlich der am meisten missbrauchte Begriff der Gegenwart – zumindest, wenn es um Technologie geht. Wir Menschen, Tiere und sogar Maschinen haben eines gemeinsam: Wir erkennen Muster in der Vergangenheit, um die Zukunft zu erahnen. Wenn der Himmel grau ist, nehmen wir den Regenschirm mit. Aber während wir uns vorstellen können, wie es wäre, wenn es plötzlich grüne Wolken regnet, bleibt der Maschine diese Fantasie verwehrt.

Wirkliche Intelligenz bedeutet, sich Alternativen auszumalen, „Was wäre, wenn?“-Fragen zu stellen. Unsere sogenannten KI-Algorithmen hingegen sind wie Papageien: Sie plappern nach, was wir ihnen beigebracht haben – inklusive unserer Vorurteile und Fehler. Sie haben kein eigenes Weltbild, können nicht zwischen Lüge und Wahrheit unterscheiden. Sie rechnen einfach nur schneller.

Schach, Go und der Mythos vom Superhirn

Dass Computer heute Schachweltmeister schlagen, ist keine Sensation, sondern eine Rechenleistungsschlacht. Millionen Wenn-Dann-Schleifen, Milliarden Ja-Nein-Entscheidungen – das ist beeindruckend, aber nicht intelligent. Als 2014 eine Maschine erstmals einen Go-Champion besiegte, verbrauchte sie 400 kWh Strom. Der Mensch daneben? 20 Wh. Wer ist hier effizienter?

Wir bauen schnelle Maschinen, keine klugen. Sie können riesige Datenmengen verarbeiten und wirken dabei manchmal, als hätten sie einen Geistesblitz. Doch lassen Sie sich nicht täuschen: Ein Kind erkennt nach zwei Katzenbildern jede Katze, selbst wenn Picasso sie gemalt hätte. Die Maschine braucht 100.000 Bilder – und erkennt Picasso nicht, wenn sie ihn nicht kennt.

Von der Rechenmaschine zur „KI“: Ein alter Hut in neuem Gewand

Schon 1956 wollten kluge Köpfe an der Dartmouth-Universität das künstliche Gehirn erschaffen. Heraus kam eine erweiterte Intelligenz, ein Werkzeug, das uns unterstützt – wie schon die Rechenmaschinen von Schickard und Pascal im 17. Jahrhundert. Der große Durchbruch blieb aus, und es folgte der „KI-Winter“: Ernüchterung statt Euphorie.

Heute sind wir technologisch kaum weiter. Unsere „KI“ ist in etwa so revolutionär wie Newtons Formeln für die Raumfahrt: Gut für den Alltag, aber für die großen Sprünge reicht es nicht. Für echte künstliche Intelligenz brauchen wir neue Ideen, nicht nur schnellere Prozessoren.

AI oder AI? Ein Buchstabenspiel für Marketingprofis

Im Englischen steht AI für Artificial Intelligence – und für Augmented Intelligence, also erweiterte Intelligenz. Ein gefundenes Fressen für Marketingabteilungen, die uns Kühlschränke, Autos und Handys als „intelligent“ verkaufen wollen. Tatsächlich sind sie nur schneller und besser programmiert – aber nicht klüger als die Rechenmaschinen ihrer Urahnen.

Natürlich sind Machine-Learning und Deep-Learning nützlich. Sie automatisieren, sie erleichtern uns das Leben. Aber sobald echte künstliche Intelligenz auf der Bildfläche erscheint, werden diese Technologien so überflüssig wie die Schreibmaschine im Zeitalter des Laptops.

Das Ende der Illusion?

In ein paar Jahren werden wir die Machine-Learning-Kuh endgültig gemolken haben. Denn diese Technologien führen nicht zur künstlichen Intelligenz – sie sind nicht einmal ein evolutionärer Zwischenschritt. Alles, was wir heute als „KI“ feiern, ist nur der Anschein von Intelligenz.

Die Frage ist nicht, ob, sondern wann die nächste große Enttäuschung kommt. Vielleicht stehen wir bald wieder vor einem „KI-Winter“, weil wir merken: Der Kühlschrank bleibt dumm, das Auto fährt nicht von allein, und Siri versteht immer noch nicht, warum wir um drei Uhr morgens Pizza bestellen wollen.

Fazit:

Genießen wir also den Hype, aber lassen wir uns nicht blenden. Künstliche Intelligenz bleibt vorerst ein Traum – und vielleicht ist das auch ganz gut so.

Quelle: zf/gah