Das Problem der SPD fing nicht mit Nahles an
Gerade einmal 13 Monate hat die erste Frau an der Spitze der ältesten Partei Deutschlands es dort ausgehalten. Als Andrea Nahles am Sonntag überraschend ihren Rücktritt sowohl vom Partei- als auch vom Fraktionsvorsitz der SPD ankündigte, ging, so könnte man also sagen, eine Ära zu Ende - wenn auch eine sehr kurze. Doch das Problem der SPD fing weder mit Nahles' Amtszeit an, noch wird es mit ihr enden. Ihr Rücktritt reiht sich ein in eine längere Geschichte sozialdemokratischen Scheiterns.
Gerade einmal 13 Monate hat die erste Frau an der Spitze der ältesten Partei Deutschlands es dort ausgehalten. Als Andrea Nahles am Sonntag überraschend ihren Rücktritt sowohl vom Partei- als auch vom Fraktionsvorsitz der SPD ankündigte, ging, so könnte man also sagen, eine Ära zu Ende - wenn auch eine sehr kurze. Doch das Problem der SPD fing weder mit Nahles' Amtszeit an, noch wird es mit ihr enden. Ihr Rücktritt reiht sich ein in eine längere Geschichte sozialdemokratischen Scheiterns.
Nahles übernahm den Vorsitz im April 2018, da steckte die Partei bereits tief in der Krise. Die SPD hatte gerade die 20,5-Prozent-Klatsche der Bundestagswahlen hinter sich (minus 5,2 Prozent im Vergleich zu 2013), und sich unter Qualen in die erneute große Koalition gezwungen. Im Oktober folgten die niederschmetternden Landtagswahlen in Bayern (9,7, minus 11) und Hessen (19,8, minus 10,9). Die 15,8 Prozent bei den Europawahlen, die nun die Debatte um Nahles' Verantwortung für das Debakel auslösten, stehen also nicht allein, sondern sind Teil einer Entwicklung.
Schwindende Glaubwürdigkeit, interne Machtkämpfe, schleppende Erneuerung - all das hängt keineswegs nur an einer Personalie. Nahles hat Altlasten ihrer Vorgänger übernommen, und derer gibt es viele: Ganze neun Vorsitzende haben die Sozialdemokraten allein in dem Zeitraum verschlissen, in dem bei der CDU durchgängig Angela Merkel die Geschäfte führte. Nahles ist es nicht gelungen, das Absacken aufzuhalten. Nun macht sie kurzen Prozess. Ihre plötzliche Rücktrittsankündigung hat auch etwas Trotziges an sich. Als wolle sie ihren internen Gegner zurufen: Dann macht es doch besser! Gut gemacht hat Nahles selbst es vergangene Woche sicherlich nicht. Am Montag, dem Tag nach den Wahlen, hatte sie bereits angekündigt, die Wahl zum Fraktionsvorsitz vorzuziehen. Nahles wollte so ihre Kontrahenten im schwelenden Machtkampf aus der Deckung zwingen. So weit die Polit-Taktik.
Was bei Bürgern und der eigenen Basis aber vor allem ankommt: Die Parteispitze kreist um sich selbst. Dabei gibt es drängende Probleme: die Klimakrise und die Frage, wie wir Emissionen verringern und zugleich die Energieversorgung sicherstellen können; eine Wohn- und Miet-Misere, die immer mehr Menschen aus ihrem Umfeld verdrängt; die wachsende soziale Ungleichheit. Die Menschen erwarten konkrete Lösungsansätze und einen politisch gangbaren Weg in die Zukunft. Doch anstatt inhaltliche Defizite aufzuarbeiten, hat die SPD-Spitze wieder eine leidige Personaldebatte entfacht, die Nahles nun zum Eskalieren bringt. Wieder nichts aus der Wahlschlappe gelernt. Die Wählerschaft merkt sich das.
Es bleibt die Frage, wie es weitergeht - in der SPD und mit der großen Koalition. Bislang hat sich noch niemand öffentlich für Nahles' Nachfolge in Stellung gebracht, weder für Partei- noch für Fraktionsvorsitz. Die Rede ist von Olaf Scholz, Achim Post, Manuela Schwesig, Malu Dreyer, Stephan Weil oder Kevin Kühnert. So weit die Spekulationen. Sicher ist jetzt schon, dass ein neuer Name allein das Problem nicht lösen wird. Und sehr wahrscheinlich ist auch, dass der Abwärtstrend der SPD sich bei den Landtagswahlen im Herbst in Brandenburg, Sachsen und Thüringen weiter fortsetzt.
Kein leichter Start also für den oder die Neuen an der Parteispitze, und kein Wunder, dass niemand munter vorprescht. Beim Koalitionspartner macht sich Nervosität breit. Denn Nahles' Rücktritt trifft die CDU zur Unzeit. Sie ist selbst mit der Aufarbeitung der herben Wahlschlappe, mit programmatischen und personellen Fragen beschäftigt. Will man keine weiteren Verluste riskieren, werden weder CDU noch SPD Neuwahlen anstreben. Alle Zeichen stehen also auf ein Weiter-so. Noch ist keine Besserung in Sicht.