Brexit-Lage in Großbritannien: Nichts ist, wie es scheint
Theresa May hat man selten so fröhlich gesehen wie in dem Moment, als ihr Nachfolger Boris Johnson im Unterhaus eine demütigende Abstimmungsniederlage einfuhr. Und groß war das Hallo, als der Brexit-Gegner Phillip Lee zu den Liberaldemokraten wechselte und damit die Tories um die Mehrheit brachte. Mittlerweile dürfte May und vielen anderen Gegnern des britischen Premierministers jedoch klar geworden sein, dass Johnson ein paar Züge weiter gedacht hat als sie.
Theresa May hat man selten so fröhlich gesehen wie in dem Moment, als ihr Nachfolger Boris Johnson im Unterhaus eine demütigende Abstimmungsniederlage einfuhr. Und groß war das Hallo, als der Brexit-Gegner Phillip Lee zu den Liberaldemokraten wechselte und damit die Tories um die Mehrheit brachte. Mittlerweile dürfte May und vielen anderen Gegnern des britischen Premierministers jedoch klar geworden sein, dass Johnson ein paar Züge weiter gedacht hat als sie.
Denn nichts ist, wie es scheint. Der ehemalige Londoner Bürgermeister profitiert von dem vermeintlich historischen Votum der Abgeordneten gegen seine Strategie für den EU-Austritt. Mit Ankündigungen wie der, das Parlament in eine verlängerte Sommerpause zu schicken, provozierte er seine Parteifeinde so lange, bis sie schließlich gegen die eigene Regierung stimmten und ihm damit die Möglichkeit gaben, sie aus der Fraktion auszuschließen. Dass sich ausrangierte Politiker wie Kenneth Clarke und Philip Hammond bei Neuwahlen als unabhängige Kandidaten wieder ein Mandat erkämpfen werden, darf man getrost für unwahrscheinlich halten.
Und dass Johnson nun noch weniger Chancen auf eine Mehrheit im Parlament hat, kommt ihm ebenfalls zugute. Denn nun kann er nicht dafür verantwortlich gemacht werden, wenn das Vereinigte Königreich all seinen Versprechungen zum Trotz über den 31. Oktober hinaus in der EU bleiben muss. Brüssel wird die Austrittsfrist allen anderslautenden Drohungen zum Trotz gerne verlängern. Ein ungeregelter Brexit, den Johnson ohnehin nicht anstrebt, wird dadurch vermieden. Vieles spricht dafür, dass Johnson all das mit seinem Chefstrategen Dominic Cummings geplant hat - vielleicht nicht ganz genau so, wie es schließlich kam, aber die Richtung stimmt für ihn.
Oppositionsführer Jeremy Corbyn, der in den vergangenen zwei Jahren keine Möglichkeit ausließ, Neuwahlen zu fordern, wird sie nicht lange verhindern können. Und weil sich Labour und Liberaldemokraten nicht auf ein gemeinsames Vorgehen einigen können, haben die Tories gute Chancen, auch ohne die nordirischen Unionisten eine arbeitsfähige Mehrheit zu bekommen. Johnson hätte dann ein Mandat für weitere fünf Jahre, ein Kabinett, das seinen Kurs unterstützt, und eine Fraktion, die hinter ihm steht. Er kann gestärkt weiter mit der EU verhandeln. Nichts ist wahr, und alles ist möglich, schrieb Peter Pomerantsev über Putins Russland. Westminster beginnt, dem zu ähneln.