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Danzig setzt ein Zeichen für Polen

Die ruhmreiche Hansestadt Danzig ist heute ein eher beschaulicher Ort in der nordpolnischen Provinz. Den Eindruck zumindest kann gewinnen, wer durch die verwinkelten Altstadtgassen schlendert. Dass es sich mit Danzig in Wirklichkeit ganz anders verhält, drang im Januar ins Bewusstsein der europäischen Öffentlichkeit, als ein psychisch labiler Mann den liberalkonservativen Bürgermeister Pawel Adamowicz erstach.

Geschrieben von Redaktion am . Veröffentlicht in Welt.
Foto: erwinbauer / CC0 (via Pixabay)

Die ruhmreiche Hansestadt Danzig ist heute ein eher beschaulicher Ort in der nordpolnischen Provinz. Den Eindruck zumindest kann gewinnen, wer durch die verwinkelten Altstadtgassen schlendert. Dass es sich mit Danzig in Wirklichkeit ganz anders verhält, drang im Januar ins Bewusstsein der europäischen Öffentlichkeit, als ein psychisch labiler Mann den liberalkonservativen Bürgermeister Pawel Adamowicz erstach.

Die Tat wurde über die Grenzen der Stadt und des Landes hinaus als Symbol einer Zeit voller politischer Hasspropaganda verstanden. Am Sonntag haben die Danziger eine Nachfolgerin für Adamowicz gewählt. Sie gaben ihre Stimmen mit überwältigender Mehrheit seiner langjährigen, nicht weniger liberalen Vertrauten Aleksandra Dulkiewicz. Man kann diese Wahl als Zeichen der Solidarität mit Adamowicz über den Tod hinaus lesen. Man kann sie aber auch als einen Fingerzeig werten, wie sich das so bedeutsame Wahljahr 2019 in Polen und in anderen Teilen Osteuropas entwickeln könnte.

Im Oktober entscheiden die Polen über die Zusammensetzung des Sejms in Warschau und damit auch über die Bilanz der rechtsnationalen PiS-Regierung. Zuvor schon dürften die Wahlen zum EU-Parlament im Mai zeigen, wohin die Reise in Osteuropa geht: Werden illiberale, populistische und autoritäre Kräfte die Zukunft bestimmen, für die exemplarisch der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán steht? Oder bekommen die bekennenden Demokraten eine neue Chance?

Zu den Demokraten gehörte eindeutig der ermordete Bürgermeister Adamowicz, und seine erst 39-jährige Nachfolgerin Dulkiewicz will sein Werk fortsetzen. Aber aus Danzig kommt noch ein weiterer Mann, von dem im Ringen um die politische Ausrichtung des östlichen Europas viel abhängen wird: der ehemalige polnische Premier und heutige EU-Ratspräsident Donald Tusk. Seine zweite Amtszeit in Brüssel läuft im Herbst aus, und in Polen wird derzeit viel darüber spekuliert, ob der 61-Jährige sich dann wieder der Innenpolitik zuwenden könnte. Tusk hat diese Spekulationen zuletzt genährt, indem er seine Unterstützung für eine neue, geeinte Oppositionsbewegung in Polen erkennen ließ, deren Ausgangspunkt wiederum Danzig ist.

Der Name der Stadt ist ja nicht nur mit dem mittelalterlichen Hansehandel und mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs auf der Westerplatte verbunden. 1980 formierte dort der spätere Friedensnobelpreisträger Lech Walesa auf der Lenin-Werft auch die Freiheitsbewegung Solidarnosc, die 1989 die friedlichen Revolutionen in Osteuropa anführte. 30 Jahre ist das her. Wiederholt sich Geschichte? Kaum. Aber man kann daran anknüpfen, und die polnische Opposition tut derzeit genau dies. Am 4. Juni 1989 gab es in Polen die ersten halbwegs demokratischen Wahlen im sowjetischen Machtbereich, und als "Bewegung des 4. Juni" wollen sich die Herausforderer der PiS-Regierung in Warschau nun offenbar zusammenschließen.

Für die Wahl zum EU-Parlament haben die Demokraten bereits ein Bündnis mit dem Namen Europäische Koalition geschmiedet. Mit dabei sind die strukturkonservative Bauernpartei ebenso wie Tusks gemäßigte Bürgerplattform, Liberale, Sozialdemokraten und Grüne. Es ist kaum übertrieben zu behaupten, dass die Bündelung aller oppositionellen Kräfte in Polen die auf längere Sicht letzte große Chance für eine politische Schubumkehr im östlichen Europa ist. Setzt sich bei der Sejm-Wahl im Herbst die PiS des autoritären Vorsitzenden Jaroslaw Kaczynski zum zweiten Mal in Folge durch, drohen in Polen, dem größten und wichtigsten Land der Region, ungarische Verhältnisse, sprich: eine noch weitergehende Aushöhlung der Demokratie, deren Kern die Gewaltenteilung ist.



Quelle: ots/Mittelbayerische Zeitung