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Prag: Regierungschef übersteht das Misstrauensvotum nur knapp

Es gab viel zu bereden im Parlament von Prag. Mehr als 17 Stunden debattierten die Abgeordneten, bevor Andrej Babis tief in der Nacht zu Donnerstag vorerst aufatmen konnte. Ein Misstrauensantrag gegen den tschechischen Regierungschef scheiterte knapp.

Geschrieben von Ulrich Krökel am . Veröffentlicht in Welt.
Andrej Babis
Andrej Babis
Foto: Jiří Vítek / CC BY-SA 4.0 (via Wikimedia Commons)

Es gab viel zu bereden im Parlament von Prag. Mehr als 17 Stunden debattierten die Abgeordneten, bevor Andrej Babis tief in der Nacht zu Donnerstag vorerst aufatmen konnte. Ein Misstrauensantrag gegen den tschechischen Regierungschef scheiterte knapp.

Ein Vertrauensbeweis sieht allerdings auch anders aus: Je 85 Ja- und Nein-Stimmen hielten sich exakt die Waage. Den Ausschlag gaben die vielen Enthaltungen, vor allem aus den Reihen der Sozialdemokraten, die mit der populistischen ANO-Partei des Premierministers eigentlich eine Koalition bilden. Vor diesem Hintergrund bedarf es keiner ausgeprägten prophetischen Gaben, um für Tschechien einen heißen politischen Herbst vorherzusagen.

30 Jahre nach der Samtenen Revolution sind andauernde Streitigkeiten in Parlament und Regierung sowie neue Massenproteste gegen den mutmaßlich korrupten Multimilliardär Babis vorprogrammiert. Bereits am vergangenen Sonntag hatten sich mehr als 250 000 Menschen zur größten Kundgebung seit 1989 in Prag versammelt, um den Rücktritt des 64-Jährigen zu fordern, dem die tschechische Generalstaatsanwaltschaft sowie die EU-Kommission Subventionsbetrug vorwerfen. Dabei möge man sich nicht von nackten Zahlen täuschen lassen. Eine Viertelmillion Demonstranten sind zwar viel, sehr viel sogar, aber im Vergleich zu 8,5 Millionen Wahlberechtigten doch eine Minderheit. Bei der Europawahl war die ANO klar stärkste Partei in Tschechien, ungeachtet aller Korruptionsvorwürfe gegen den Parteichef.

Tritt man einen Schritt zurück, ergibt sich eher das Bild einer Gesellschaft, die ähnlich gespalten ist wie das Parlament mit seinen je 85 Ja- und Neinsagern. Babis und seine Populisten verfügen vor allem in den ländlichen Regionen über eine große Anhängerschaft, während die liberale Opposition in Prag und anderen Städten dominiert. Man kennt dieses Bild längst aus vielen anderen demokratischen Staaten, vor allem aus den USA: Auf der einen Seite versammeln sich die weltoffenen, meist jungen und durchdigitalisierten Globalisierungsfreunde, auf der anderen Seite die Nationalisten, die eher Älteren und Konservativen sowie die Abgehängten.

Allerdings ist Babis zwar ein milliardenschwerer Unternehmer, aber eben doch kein Donald Trump. Außerdem ist sein Reichtum vielen Tschechen suspekt, während Geld in den USA noch immer mit Erfolg gleichgesetzt wird. Babis ist deshalb sehr viel stärker auf Bündnispartner angewiesen als Trump. Dafür sorgt auch das tschechische Regierungssystem mit einem Premier, der zwar die Richtlinien der Regierungspolitik bestimmt, dem aber ein direkt gewählter Präsident das politische Leben durchaus schwermachen kann. Amtsinhaber Milos Zeman tut das nicht. Er ist kaum weniger populistisch gestimmt als Babis und hat mehrfach angekündigt, keinen anderen Premier zu akzeptieren. Das ist viel wert für den Regierungschef, aber nur die halbe Miete.

Im Amt wird sich Babis nur dann halten können, wenn ihn die sozialdemokratische CSSD weiter unterstützt. Dass sie dies bislang tut und dabei sogar mit den tschechischen Steinzeit-Kommunisten gemeinsame Sache macht, ist und bleibt eine Schande für die stolze und aus Prinzip staatstragende Partei. Das sehen im Übrigen auch die meisten Tschechen so. Deswegen fürchtet die CSSD vollkommen zu Recht, bei Neuwahlen stärker abgestraft zu werden als Babis. Und genau deshalb haben sich viele Sozialdemokraten bei der Vertrauensabstimmung im Parlament enthalten.

Allerdings gilt noch immer der alte Spruch: In Gefahr und größter Not, bringt der Mittelweg den Tod. Es sollte sich also niemand wundern, wenn es in Prag am Ende dieses Jahres keinen Premier Babis mehr gibt, aber auch keine Sozialdemokraten.



Quelle: ots/Mittelbayerische Zeitung