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Syrien-Gipfel - Das Blutvergießen wird weitergehen

Sie haben bei realpolitischem Licht betrachtet keine Chance. Zu gegensätzlich sind sie Interessenlagen der Super- wie der sich argwöhnisch beäugenden Regionalmächte, die sich im Beisein der "Europäischen Union der Flüchtlingsaufnahmeländer" in Wien über das ins fünfte Jahr gehende syrische Dilemma beugen. Ein Problem-Knäuel, gegen das der israelisch-palästinensische Dauerkonflikt geradezu überschaubar wirkt. Der Grund ist eine doppelte Lebenslüge.

Geschrieben von Dirk Hautkapp am . Veröffentlicht in Welt.
Foto: Freedom House / Flickr (CC)

Sie haben bei realpolitischem Licht betrachtet keine Chance. Zu gegensätzlich sind sie Interessenlagen der Super- wie der sich argwöhnisch beäugenden Regionalmächte, die sich im Beisein der "Europäischen Union der Flüchtlingsaufnahmeländer" in Wien über das ins fünfte Jahr gehende syrische Dilemma beugen. Ein Problem-Knäuel, gegen das der israelisch-palästinensische Dauerkonflikt geradezu überschaubar wirkt. Der Grund ist eine doppelte Lebenslüge.

Nummer 1: Niemand, weder Russlands Präsident Wladimir Putin noch Amerikas Commander-in Chief Barack Obama, will das Terror-Netzwerk "Islamischer Staat" wirklich auslöschen. Dazu wäre eine gewaltige konzertierte und auf Jahre angelegte Boden-Luft-Initiative notwendig. Weder die USA noch Russland (geschweige denn die aufs Blut verfeindeten Rivalen Iran und Saudi-Arabien ) werden für so ein Himmelfahrtskommando in großem Maßstab Soldaten ins Feuer schicken. Es geht um Eindämmung und Einhegung. Die fanatischen Mörderbanden sollen nicht in die Anrainer-Staaten einsickern. Aber selbst, wenn es gelänge, den IS im Irak und in Syrien zu besiegen - wer sollte an dessen Stelle treten, wer den Wiederaufbau des zerbombten Landes leisten?

Nummer 2: Mit Russland und Iran sitzen zwei Schwererziehbare mit am Tisch. Sie widersetzen sich trotz 250.000 Bürgerkriegstoten einem allein an humanitären Erwägungen orientierten Vorgehen der internationalen Gemeinschaft. Geopolitische Erwägungen sind ihnen wichtiger. Wladimir Putin geht in Syrien an die Front, weil ihn die von Europa und Amerika verhängten Ukraine-Sanktionen ökonomisch auf Dauer dazu zwingen. Putin stabilisiert Diktator Assad, um die mit Blut getränkten Jetons, die er im syrischen Kasino einspielt, demnächst in Brüssel, Berlin und Washington gegen Lockerungen und Wohlwollen einzutauschen. Die Mullahs in Teheran sehen in Syrien das zentrale Transitland, um der Hisbollah im Libanon Raketen gegen den Zionismus zur Verfügung zu stellen. Russland wie Iran halten an dem Popanz fest, dass die Menschen in Syrien schon bald in Wahlen neu über ihre Zukunft entscheiden könnten. Demokratie im Kugelhagel?

Man kann sich als in Sicherheit lebender Europäer kaum ausmalen, welche Wut dieser Zynismus bei Millionen Syrern auslösen muss, die seit viereinhalb Jahren in Angst und Schrecken leben. Eine Wut, von der Amerika nicht verschont bleibt, weil es zu lange zu passiv war. In Washington war schon 2011 Konsens, dass Diktator Assad die Spannungen im Viel-Konfessionen-Staat Syrien weiter schüren wird, solange man ihn lässt. Staatenlenker wie Assad gehören im 21. Jahrhundert vor das Haager Kriegsverbrecher-Tribunal, niemals an die Spitze einer Übergangsregierung. Und doch wird es wohl so kommen. Ob man in Wien einen gangbaren "Weg aus der Hölle" (US-Außenminister John Kerry) findet, ob die vielen Milizen in Syrien gestoppt und in einer Regierung der nationalen Einheit aufgehen sollen, ob die Flüchtlingswelle gen Europa verlangsamt werden kann, erscheint darum mehr als zweifelhaft. Das Blutvergießen wird weitergehen.



Quelle: ots / Neue Westfälische